Im Münchner Wirecard-Prozess hat das Gericht einen Verfahrensstopp rund um den größten deutschen Bilanzskandal seit 1945 abgelehnt. Die vierte Strafkammer des Landgerichts München I wies am Mittwoch die Aussetzungsanträge zurück, die sowohl die Verteidiger des aus Österreich stammenden Ex-Vorstandschefs Markus Braun als auch des früheren Wirecard-Chefbuchhalters gestellt hatten. Der Prozess soll nun am 8. Februar fortgesetzt werden.
Damit wird Brauns erste persönliche Stellungnahme in dem Prozess auch erst im Lauf des Februars erwartet. Ex-Finanzchef Jan Marsalek, ebenfalls Österreicher, ist flüchtig.
"Keine gravierenden Verstöße"
Die Richter sehen keine gravierenden Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip, sagte der Vorsitzende Markus Födisch am zehnten Prozesstag. Die Anwälte werfen der Münchner Staatsanwaltschaft vor, die Verteidigung mit Zehntausenden Seiten von Akten und Dokumenten nachträglich zu überhäufen. Der zweite Hauptvorwurf gegen die Ermittler lautet, dass der Verteidigung wesentliche Unterlagen vorenthalten worden seien.
Das wies der Vorsitzende Richter ausdrücklich zurück: Die Verteidiger hätten jederzeit Gelegenheit gehabt, Beweismittel bei der Polizei einzusehen. Födisch verwies darauf, dass Brauns Verteidiger Teile der nachträglich gelieferten Akten bereits in der Verhandlung zitiert hätten. Die "Verteidigungsfähigkeit" der Angeklagten und die Fortsetzung des Verfahrens seien nicht wesentlich beeinträchtigt.
Anklage wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs
Außerdem verwies der Richter darauf, dass Braun und der Kronzeuge Oliver Bellenhaus seit über zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft säßen und daher für den Prozess das Gebot beschleunigter Verhandlung gelte.
Braun, Bellenhaus und der ehemalige Chefbuchhalter sind des gewerbsmäßigen Bandenbetrugs angeklagt. Laut Anklage sollen sie seit 2015 die Bilanzen des Zahlungsdienstleisters gefälscht und kreditgebende Banken um 3,1 Milliarden Euro geschädigt haben. Sollte das Gericht dem im Urteil folgen, wäre das der größte Betrugsschaden in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Umfangreich beschuldigt
Sowohl Braun als auch der frühere Chefbuchhalter sind im bisherigen Verlauf des Prozesses vom dritten Angeklagten Bellenhaus umfangreich beschuldigt worden. Der bis zum Kollaps des einstigen Dax-Konzerns im Sommer 2020 in Dubai für Wirecard tätige Manager ist der einzige der drei Angeklagten, der die Vorwürfe einräumt.
Braun hat über seine Anwälte eine Unschuldserklärung abgegeben und seinerseits Bellenhaus beschuldigt, hohe Millionensummen veruntreut zu haben. Der ehemalige Chefbuchhalter hat sich bislang weder persönlich noch über seine Anwälte geäußert. Doch deutete sich zunächst an, dass er aussagen könnte. Richter Födisch gab ein entsprechendes Gespräch mit Verteidigerin Sabine Stetter zu Protokoll. Das wird nach Aussage seiner Verteidigerin aber vorerst doch nicht der Fall sein. Die nächsten drei Prozesstage sind allerdings abgesagt, weil sich der Kronzeuge nach Angaben seines Verteidigers nicht von den anderen Verteidigern befragen lassen wolle.