Die Wiener Börse hat das Jahr 2022 mit einem klaren Minus abgeschlossen. Der Krieg in der Ukraine, die starke Inflation und die Zinserhöhungen der weltweiten Zentralbanken lasteten heuer auf den Aktienmärkten. Der österreichische Leitindex ATX büßte im Jahresverlauf 19 Prozent an Wert ein und gab somit stärker nach als im ersten Coronajahr 2020, als es am Ende ein Minus von 12 Prozent gab. Im Vorjahr 2021 hatte sich der heimische Aktienmarkt um deutliche 39 Prozent erholt.
Negativ wirken sich in Wien wohl die Verluste der schwer gewichteten Bankaktien aus. Die laut Wiener Börse heuer am meisten gehandelten Titel, die der Erste Group, verbilligten sich um rund 28 Prozent. Der Bawag-Kurs fiel um 8 Prozent. Die von den Russland-Sanktionen stark betroffene Raiffeisen Bank International (RBI) verlor deutliche 41 Prozent an Marktwert.
Der ebenfalls stark durch sein Russland-Geschäft exponierte Immobilien-Entwickler Warimpex büßte trotz kräftigem Gewinnplus 42 Prozent ein – was allerdings für die Gesamtperformance des prime markets kaum ins Gewicht fällt. Obwohl das Unternehmen rund die Hälfte seines Gewinns ins Russland macht, konnte es diesen im ersten Dreivierteljahr verfünffachen. Größter Verlierer im prime market waren Lenzing mit einem Minus von 55 Prozent. Eine schlechte Entwicklung verzeichneten auch die Immo-Konzerne Immofinanz (minus 48,5 Prozent), UBM (minus 47 Prozent) und s Immo (minus 42,6 Prozent).
Ein klarer Krisengewinner waren hingegen die Aktien des Ölfeldausrüsters Schoeller-Bleckmann (SBO). Die Unternehmensanteile gewannen seit Jahresanfang 88 Prozent an Wert. Weltweit wurde stark in die Öl- und Gasförderung investiert, um russische Lieferungen zu ersetzen. Der teilstaatliche Öl- und Gaskonzern OMV verzeichnete wiederum ein Minus von fast 3,7 Prozent.
Ein deutliches Kursplus im Jahresverlauf gab es auch bei den Titeln von Flughafen Wien (plus 21,6 Prozent), DO&CO (plus 19,6 Prozent), Andritz AG (plus 18 Prozent) und Strabag (plus 6,7 Prozent). Letztere sind seit 24. November Teil des Leitindex ATX. Sie haben hier die s Immo ersetzt, die wegen eines zu geringen Streubesitzes im Zuge der Übernahme durch die CPI Property aus dem ATX geflogen sind. Im prime market gab es mit Pierer Mobility und RHI Magnesita zwei Neuzugänge, womit nun insgesamt 40 Werte im prime-Segment notieren. Im KMU-Segment kam im Jahresverlauf die Salzburger VAS am Börsenparkett dazu.
DAX mit Jahresminus von 12,3 Prozent
Der deutsche Leitindex DAX hat am letzten Handelstag des Jahres nach einem zweiwöchigen Hin und Her unter der runden Marke von 14.000 Punkten geschlossen. Kapitalmarktstratege Jürgen Molnar von RoboMarkets empfiehlt passend zum schwachen Handelsschluss an diesem Freitag, das gesamte Börsenjahr 2022 "einfach abzuhaken", aber den Optimismus zu behalten.
Denn auch wenn der Start in das Jahr 2023 holprig sein und das erste halbe Jahr schwierig werden dürfte, sollte "die Reise an der Börse in den kommenden Jahren weiter nach oben gehen", so Molnar weiter.
Auch die Ungewissheit über die Lage in China nach den Lockerungen der strengen Corona-Politik verdarb Anlegern angesichts drastisch steigender Infektionszahlen zuletzt die Laune. Unter den europäischen Leitindizes schnitten der Schweizer SMI mit einem Minus von gut 16 Prozent und der italienische Leitindex mit minus 12,7 Prozent schwach ab. In Spanien verzeichnete man an der Börse ein Minus von 5,2 Prozent.
London, Athen: Es gab auch Gewinner ...
Zu den Gewinnern zählte Athen mit einem Plus 3,8 Prozent sowie London, wo der FTSE-100 auf ein Jahresplus von 0,9 Prozent kommt. Der EuroStoxx50 verlor heuer 11,4 Prozent und der Stoxx50 büßte 3,9 Prozent ein. Wobei die Stoxx50-Sektoren Öl und Gas mit einem Plus von 24,9 Prozent zu den Profiteuren der hohen Energiepreise zählten. Aber auch der Sektor Rohstoffe entwickelte sich mit einem Plus von 4,6 Prozent positiv.
Die US-Börsen gerieten auf Grund der Zinsanhebung der US-Notenbank heuer ebenfalls unter Druck, wobei vor allem Technologiewerte, die besonders unter den steigenden Zinsen litten, zu den Verlierern zählten: Der Dow Jones kommt auf ein Jahresminus von rund 9 Prozent. Der marktbreite S&P-500 weist ein Minus von fast 20 Prozent auf. Und der zinssensible Nasdaq Composite Index brach um mehr als 30 Prozent ein.
Aber auch in Asien schwächelten die Aktienmärkte. So verzeichnete der japansche Leitindex Nikkei 225 auf Jahressicht ein Minus von 9,4 Prozent. Er hat nach einer dreijährigen Gewinnserie damit das schwächste Jahr seit 2018 hinter sich. Wobei die Talfahrt auch auf den Strategiewechsel der Bank of Japan zurückzuführen ist. Diese hat die Spanne für langfristige Anleiherenditen gelockert.
Der CSI-300-Index, der die 300 wichtigsten Unternehmen vom chinesischen Festland umfasst, büßte heuer 21,6 Prozent ein. Aber auch an der Börse der chinesischen Sonderverwaltungsregion Hongkong konnte man sich dem internationalen Trend nicht entziehen. Der Hang Seng-Index verlor dieses Jahr 14,4 Prozent. Dies ist nicht nur das dritte Verlustjahr in Folge, sondern auch die schwächste Entwicklung seit 2011.
2023? Analysten nicht einig
Beim Ausblick auf das kommende Jahr sind sich die Analysten nicht einig. Experten der Deutsche Bank gehen von mittleren einstelligen Renditen an den Aktienmärkten aus, wie die Nachrichtenagentur Reuters schreibt. Europäische Aktien könnten 2023 von einem Bewertungsabschlag gegenüber US-Werten profitieren, meint dann Marcus Poppe vom Vermögensverwalter DWS. "Wir gehen davon aus, dass dieser Abschlag schrumpfen wird, wenn Anleger erkennen, dass die negativen Folgen der hohen Energiepreise doch nicht ganz so stark ausfallen, wie erwartet", so Poppe in einem Marktausblick.
Optimisten und Pessimisten
Bei JPMorgan Asset Management geht man davon aus, dass die Industrieländer in eine leichte Rezession rutschen werden, wie sie in einem Blogeintrag schreiben. Diese makroökonomischen Probleme hätten die Märkte aber bereits vorweggenommen, weshalb Aktien den Analysten "zunehmend attraktiv" erscheinen.
Gegenüber Reuters drücken sich einige Marktbeobachter aber auch pessimistisch aus. "Wir glauben nicht an das Szenario, dass die USA Anfang nächsten Jahres eine milde und kurze Rezession erleben werden", wird Gergely Majoros vom Vermögensverwalter Carmignac zitiert.
Vor allem die straffe Geldpolitik der Zentralbanken sowie die unsichere Aussicht auf eine Zinserhöhungspause würden Investoren verunsichern. "Zeiten mit schrumpfender Liquidität haben in der Vergangenheit zu erheblichen Luftlöchern an den Märkten geführt, das jüngste Beispiel war der Crash im vierten Quartal 2018", sagte Benjamin Melman, Investmentchef von Edmond de Rothschild Asset Management zu Reuters. "Wir können daher nicht ausschließen, dass ein solches Phänomen ohne Vorwarnung wieder auftritt."