Zwei Jahre nach dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union leidet die britische Wirtschaft unter den Folgen des Brexits, und selbst Unternehmer, die dafür gestimmt hatten, klagen über Probleme. "Es gibt nur Kosten, Kosten, Kosten – keinen Nutzen", sagt Adrian Hanrahan, Geschäftsführer von Robinson Brothers.
Für das kleine Chemieunternehmen in Mittelengland ist die EU nach wie vor ein wichtiger Markt. Das Problem seien nicht etwa Zölle, sagt Hanrahan. Denn die sind durch ein Freihandelsabkommen zwischen London und Brüssel weitgehend abgeschafft worden. Mit dem EU-Austritt der Briten kam jedoch eine Flut neuer Regeln.
"Umso größer ist der Schaden"
"Wir haben jetzt wahrscheinlich 25 Prozent mehr Verwaltungskosten, nur um mit dem Papierkram fertig zu werden", klagt der Unternehmer. Robinson Brothers exportiert rund 70 Prozent seiner Produkte, davon mehr als die Hälfte in die EU. Das Unternehmen beschäftigt 265 Mitarbeiter und produziert Chemikalien für verschiedene Branchen wie Lebensmittel, Elektronik und Pharma.
Mit seinen Problemen ist Hanrahan nicht allein. Nach Angaben der britischen Handelskammer haben 56 Prozent der britischen Firmen Schwierigkeiten, sich an die neuen Regeln im Handel mit der EU anzupassen. "Die Unternehmen haben das Gefühl, dass sie gegen eine Wand rennen, weil nichts getan wurde, um ihnen zu helfen", sagt die Generaldirektorin der Kammer, Shevaun Haviland. "Je länger die gegenwärtigen Probleme nicht angepackt werden, umso mehr EU-Händler gehen woanders hin und umso größer ist der Schaden."
Der Brexit und die Folgen für die Inflation
Die Regierung von Premierminister Rishi Sunak gibt an, sie gehe davon aus, dass die britische Wirtschaft aufgrund der ausufernden Inflation wegen Energiepreiskrise und Ukraine-Krieg in eine Rezession eingetreten ist. Analysten machen jedoch auch den Brexit für die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten auf der Insel verantwortlich.
"Es gibt handfeste Beweise dafür, dass die Abwertung des Pfund Sterling unmittelbar nach dem Brexit-Votum von 2016 zu einer höheren Inflation geführt hat, vor allem bei Importgütern", sagte Nikhil Datta von der London School of Economics. Neue Handelsabkommen, wie das mit Australien, seien im Vergleich zu den Verlusten im Handel mit der EU "winzig".
"Stärkere Verlangsamung des Handelsaufkommens"
Swati Dhingra von der Bank of England bescheinigt dem Brexit, für "eine deutlich stärkere Verlangsamung des Handelsaufkommens in Großbritannien im Vergleich zum Rest der Welt" verantwortlich zu sein. Jonathan Portes vom King's College London schätzt den Handelseinbruch auf zehn bis 15 Prozent ein – "im Vergleich zu einem Szenario ohne Brexit". Das Beratungsgremium der Regierung (OBR) geht davon aus, dass die britische Industrieproduktion langfristig um rund vier Prozent sinken wird.
Schwer lastet auch der Verlust von Arbeitnehmern aus der EU auf den Unternehmen, besonders im Gesundheitsbereich, in der Gastronomie und Landwirtschaft. Teils wurde seit dem Brexit Personal aus Nicht-EU-Ländern rekrutiert, wodurch der Personalmangel jedoch nicht ausgeglichen werden konnte.
"Nicht der Brexit, den ich wollte ..."
Angesichts der Folgen drängen auch Großunternehmer, die für den Brexit gestimmt haben, die Regierung zu Lockerungen beim Einwanderungsrecht. "In Sachen Einwanderung ist es sicher nicht der Brexit, den ich wollte", sagte Simon Wolfson, Chef des Bekleidungsriesen Next. Ähnlich äußerte sich Tim Martin, Chef der Pub-Kette Wetherspoon.
Für Robinson Brothers geht es ums Überleben. "Wenn das so weitergeht, haben wir keine andere Wahl, als unser Angebot zu reduzieren, um im Geschäft zu bleiben", sagt Geschäftsführer Hanrahan. "Wir hatten zwei oder drei sehr große deutsche Kunden, die uns sagten, dass sie nicht mehr zu uns kommen werden, weil es für sie zu kompliziert ist, mit jemandem in Großbritannien zusammenzuarbeiten."