Banken im Euroraum müssen sich aus Sicht von EZB-Chefbankenaufseher Andrea Enria noch stärker auf die Gefahr eines sich eintrübenden Geschäftsumfelds einstellen. "Die notleidenden Kredite im Bereich der Verbraucher-Darlehen und vorzeitige Zahlungsrückstände, sowohl bei Haushalten als auch bei Firmen, nehmen zu", sagte Enria am Donnerstag in einer Anhörung im Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) des EU-Parlaments in Brüssel.
Die Risiken deuteten darauf hin, dass sich die Qualität der Vermögenswerte in den nächsten Monaten wahrscheinlich verschlechtere. Banken müssten sich auf mögliche negative Auswirkungen vorbereiten.
"Unser Hauptfokus liegt darauf, dass die Banken den Herausforderungen, die sich aus dem derzeit unsicheren Konjunkturumfeld ergeben, standhalten", sagte Enria. Eine Reihe von Instituten legte ihren Negativszenarien nur relativ milde Konjunkturannahmen zugrunde, kritisierte er. Im Blick hat die Aufsicht unter anderem die Kapitalpläne der Institute. Die Europäische Zentralbank (EZB) werde diese Pläne genau prüfen und die Schritte des Managements hinterfragen, sagte Enria. Ein angemessenes Maß an Konservatismus müsse sichergestellt werden.
Kettenreaktionen befürchtet
Ein besonderes Augenmerk gelte dem Kredit-Engagement der Banken bei energieintensiven Unternehmen. Zwar gebe es bisher nur begrenzte Anzeichen von Schwierigkeiten, doch könnten Störungen in diesen Sektoren Kettenreaktionen auslösen, warnte er. Der Blick auf das Risikomanagement dieser Engagements sei auch wegen der jüngsten zeitweiligen Lockerungen der Nachschusspflichten (Margining) gerechtfertigt. Denn inzwischen könnten Unternehmen auch bestimmte Bankgarantien als Sicherheiten bei Clearinghäusern nutzen. Steigende Nachschusspflichten hatten bei Energieunternehmen und Händlern zeitweise zu Liquiditätsengpässen geführt.
"Das neue Risikoumfeld rechtfertigt einige Anpassungen unserer aufsichtlichen Vorgehensweise", sagte Enria. Er kündigte an, dass die Bankenaufsicht in den kommenden Wochen überarbeitete Prioritäten für die Jahre 2023 bis 2025 veröffentlichen werde. Die EZB ist für die Kontrolle der Großbanken im Euroraum zuständig. Aktuell beaufsichtigt sie 110 Institute.
Kollaps von Kryptobörse
In der Anhörung wurde Enria auch im Zusammenhang mit dem Kollaps der Kryptobörse FTX nach den Schwierigkeiten bei der Überwachung solcher Gesellschaften gefragt. Selbst bei strikten Regeln in Europa könnten solche Unternehmen womöglich immer noch Dienstleistungen in Europa von Orten außerhalb der EU anbieten, merkte er an. Es sollten daher große Anstrengungen unternommen werden, um eine internationale Koordination zu erreichen und Grundprinzipien zu vereinbaren, die dann auch global überwacht würden.
FTX hatte am 11. November zusammen mit seiner US-Einheit, dem Krypto-Handelsunternehmen Alameda Research und fast 130 anderen Tochtergesellschaften, Insolvenzschutz beantragt. Bei FTX soll Insidern zufolge mindestens eine Milliarde Dollar an Kundengeldern verschwunden sein. Die Affäre hatte die gesamte Kryptowährungsbranche in Turbulenzen gestürzt und weltweit Rufe nach einer schärferen Regulierung ausgelöst.