Elektriker, Koch, Kellner und Krankenpfleger haben eines gemeinsam: Es sind Berufe, in denen es besonders schwer ist, offene Stellen zu besetzen – also österreichische Mangelberufe. Und die Situation spitzt sich zu. "Der Arbeitskräftemangel hat in Österreich historische Dimensionen erreicht", sagt Dénes Kucsera, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Agenda Austria. Darauf reagiert die Denkfabrik mit einer aktuellen Analyse, die am Mittwoch vorgestellt wurde. Darin haben sich die Experten unter anderem auf Basis von aktuellen AMS-Daten sowie Sonderauswertungen mit Mangelberufen in Österreich, regionalen Unterschieden und Handlungsempfehlungen befasst. Der Arbeitsmarkt habe sich von einem schweren Tanker, der langsam zu bremsen oder steuern war, zu einer turbulenten Fahrt auf der Achterbahn entwickelt. Darauf müsse man rasch reagieren, da die bevorstehende konjunkturelle Abkühlung nur eine leichte Entspannung bringen werde.
Ende Juli gab es mehr als 80.000 offene Stellen in Mangelberufen, das sind mehr als doppelt so viele wie vor der Pandemie. Damit sei laut Agenda Austria jede zweite in Österreich ausgeschriebene Stelle ein Mangelberuf. Bundesweit werden 76 Mangelberufe verzeichnet. Das ist ein Plus von 16 Prozent gegenüber 2019. Dazu kommen 65 regionale Mangelberufe – also Jobs, die nur in bestimmten Bundesländer schwer zu besetzen sind. Diese haben sich seit 2019 mehr als verdoppelt. Das sei ein Indiz für strukturelle Probleme.
Ost-West-Gefälle
"Es gibt ein West-Ost-Gefälle. Das ist nicht neu, hat sich aber seit 2019 deutlich verstärkt", sagt Kucsera. Anders ausgedrückt: In Wien herrscht deutlich weniger Mangel an Bewerbern als im Bundesdurchschnitt. In der Bundeshauptstadt kommen auf eine offene Stelle im Schnitt 7,7 Bewerber, während in Salzburg und Oberösterreich das Verhältnis von verfügbaren Jobs zu Arbeitslosen bei eins zu eins liegt.
Die Zahl der ausgeschriebenen Stellen in Mangelberufen nahm besonders in Kärnten, Niederösterreich und dem Burgenland seit der Pandemie zu. Dennoch ist die Situation nicht so dramatisch wie in Salzburg, wo acht von zehn offenen Stellen Mangelberufe sind. In der Steiermark und in Kärnten machen Mangelberufe weniger als die Hälfte aller unbesetzten Jobs aus.
Während Köche und Kellner vor allem im Sommer österreichweit gesucht werden, gibt es außerhalb der Hochsaison Tausende arbeitssuchende Köche in Wien. Laut Experten könne in beiden Berufen über das gesamte Jahr betrachtet, nicht von einem Mangel gesprochen werden. Anders sieht die Situation bei diplomierten Pflegekräften aus. Derzeit gibt es bundesweit fast 800 offene Stellen mehr als Arbeitssuchende. Einzig in Kärnten und im Burgenland decken die Jobsuchenden zumindest theoretisch den Bedarf.
Babyboomer in Pension
Verschärft wird die aktuelle Situation durch den Pensionsantritt der Babyboomer. Bis zum Jahr 2050 wird die Zahl der Menschen über 65 Jahre in Österreich um 900.000 Menschen steigen, während die Zahl jener im erwerbsfähigen Alter um 320.000 Personen oder 5,8 Prozent zurückgehen wird. In Wien wird die erwerbsfähige Bevölkerung um 5,5 Prozent wachsen, in Kärnten jedoch um knapp 17 Prozent sinken.
"Wir werden den Druck oder Anreiz erhöhen müssen, damit Arbeitskräfte, die in den Bundesländern gebraucht werden, pendeln oder umziehen", erklärt Hanno Lorenz, stellvertretender Direktor und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Agenda Austria. Für Menschen, die für einen Job umziehen, sei unter anderem eine Steuergutschrift zu überlegen. Darüber hinaus könnte die Zumutbarkeit von derzeit zwei auf drei Stunden Pendelzeit erhöht werden. Hohes Arbeitskräfte-Potenzial ortet Lorenz auch bei der Reduktion von Teilzeitbeschäftigung. 29,4 Prozent der Österreicher arbeiten Teilzeit. Ein Sonderabsetzbetrag für Vollzeitbeschäftigte könnte einen Anreiz für Mehrarbeit bieten, denn derzeit komme davon zu wenig Netto am Konto an.
Um vor allem Frauen, die wegen der Kinder oft Teilzeit arbeiten, Vollerwerbstätigkeit zu ermöglichen, müsse die Kinderbetreuung entsprechend ausgebaut werden. Sowohl in der Steiermark als auch in Kärnten sei in diesem Bereich anzusetzen, wenn auch das Kinderbetreuungsangebot deutlich besser als in Ober- und Niederösterreich ist. Darüber hinaus brauche es, wie Lorenz betont, einen an die Lebenserwartung angepassten späteren Pensionsantritt sowie gezielte Zuwanderung, um den Arbeitskräftebedarf künftig zu decken. Auch bei der Anerkennung von Qualifikationen im Ausland werde man nachbessern müssen. Außerdem müsse man für Menschen in Pension Arbeit finanziell attraktiv machen.