Die Sicherung der Stromversorgung in diesem Winter wird eine Herausforderung, aber dass es zu wenig Strom geben oder gar zu einem Blackout kommen könnte, ist nach Ansicht des Stromnetzbetreibers Austrian Power Grid (APG) sehr unwahrscheinlich. Im realistischsten Szenario komme es "zu keiner einzigen Stunde zu einer Lastunterdeckung, also einer Situation, wo es zu wenig Stromangebot für die Stromnachfrage gäbe", sagte Energieministern Leonore Gewessler (Grüne) am Montag.
Erst unter noch schwierigeren Rahmenbedingungen könnte es zu wenig Strom geben, aber "Lastunterdeckung heißt nicht, dass es zum Stromausfall kommt", sagte Gewessler, man müsste dann lediglich den Verbrauch gezielt reduzieren. Der von der APG durchgeführte Strom-Stresstest zeige: "In keinem der Szenarien gibt es in Österreich ein erhöhtes Blackout-Risiko."
"Durchaus angespannte" energiewirtschaftliche Lage
APG-Technikvorstand Gerhard Christiner bezeichnete die energiewirtschaftliche Lage als "durchaus angespannt", deshalb habe man einen Stresstest mit Fokus auf das Winterhalbjahr durchgeführt. Gas spiele für die Versorgungssicherheit eine entscheidende Rolle. "18 Prozent des Strombedarfs in Europa decken wir in diesem Winter, und das ist auch die Historie, aus Gaskraftwerken." Man könne daher auf Gas auch im Strombereich nicht verzichten. "Das bedeutet: Circa ein Drittel der verfügbaren Speicherkapazitäten im Gasbereich müssen für die Stromerzeugung herangezogen werden." Etwa 27 Prozent des Strombedarfs im Winter würden in Europa aus Atomkraftwerken gedeckt.
Im Winter zu 16 Prozent von Importen abhängig
Österreich decke seinen Strombedarf im Winterhalbjahr zu 16 Prozent aus Importen. 22 Prozent des Stroms kommen in Österreich aus Gaskraftwerken, die restlichen 62 Prozent aus Wasserkraft, Wind, Photovoltaik und Biomasse.
Europas größter Atomstromerzeuger Frankreich habe derzeit von seinen 61 Gigawatt an Produktionsleistung nur knapp unter 30 GW verfügbar, erklärte der APG-Vorstand. Man gehe davon aus, dass es in diesem Winter rund 40 GW an verfügbarer AKW-Leistung in Frankreich zu den Spitzenzeiten im Jänner geben werde.
In Deutschland bestehe die Gefahr, dass bei niedrigen Wasserständen der Flüsse im Winter nicht genug Steinkohle zu den Kraftwerken transportiert werden kann. Auch Polen sei stark von Kohle abhängig, auch von Kohle aus Russland, die derzeit nicht verfügbar sei. Deshalb habe Polen auf europäischer Ebene die Ausnahmegenehmigung erwirkt, dass es keinen Stromexport zulassen muss.
Drei Szenarien durchgerechnet
Vor diesem Hintergrund habe die APG drei Szenarien durchgerechnet, erklärte Christiner. Das wahrscheinlichste Szenario ("Kombinationsszenario") gehe davon aus, dass es keine Probleme mit der Kohleversorgung in Deutschland gibt und auch keine Zunahme des Stromverbrauchs und keine Gas-Limitierung für die Stromerzeugung. In diesem Szenario könnte die Stromnachfrage zu jeder Zeit gedeckt werden.
Im "Kombinationsszenario kritisch" könnte es in Österreich 479 Stunden mit Lastunterdeckung geben, im "Kombinationsszenario sehr kritisch" bis zu 815 Stunden. "Diese beiden Szenarien haben aus heutiger Sicht geringe bzw. sehr geringe Eintrittswahrscheinlichkeiten für den Winter 2022/2023", sagen die APG-Experten. Dabei sei die Verfügbarkeit der drei deutschen Atomkraftwerke nicht einmal berücksichtigt worden.
Der Stresstest sei keine Indikation für ein mögliches Blackout, betonte Christiner. Ein Blackout sei ein unkontrollierter, völlig unerwarteter Zusammenbruch des Stromnetzes, einem Strommangel hingegen könnte man gezielt gegensteuern.