Jetzt ist es offiziell: Elon Musk hat den rund 44 Milliarden Dollar (44,2 Milliarden Euro) teuren Kauf des Kurznachrichtendienstes Twitter abgeschlossen. Twitter informierte die US-Wertpapieraufsicht SEC am Freitag über den Rückzug von der Börse und bestätigte damit den Vollzug der Übernahme.
Laut übereinstimmenden US-Medienberichten feuerte Musk bereits am Donnerstag ranghohe Führungskräfte, darunter der bisherige Firmenchef Parag Agrawal und Finanzchef Ned Segal. Angeblich wolle Musk den Spitzenposten zunächst selbst übernehmen. Erst mit der Zeit könnte er den Job an jemand anderen abgeben, hieß es. Musk twitterte in der Nacht in Anspielung auf das Firmenlogo "Der Vogel ist befreit". Er führt bereits den Elektroautobauer Tesla und die Raketenfirma SpaceX.
"Stärkung der Redefreiheit"
Dem Starunternehmer geht es beim Twitter-Kauf nach eigenen Angaben um die Stärkung der Redefreiheit. Kritiker befürchten aber eine Verrohung des Tons auf der Internetplattform und sind besorgt, dass der Eigentümerwechsel zu ungezügelteren Hassbotschaften, Hetze und Desinformationen führt. Die Bundesregierung erklärte am Freitag, die Entwicklung bei Twitter nach Musks Übernahme "sehr genau" beobachten zu wollen. EU-Industriekommissar Thierry Breton warnte Musk per Tweet, den Kurznachrichtendienst zu einer unregulierten Plattform zu machen: "In Europa wird der Vogel nach unseren EU-Regeln fliegen."
Eine zu lasche Moderierung von Inhalten könnte auch Werbepartner abschrecken und so Twitters wichtigste Einnahmequelle gefährden. Musk wandte sich vor dem Hintergrund bereits am Donnerstag in einem offenen Brief an die Anzeigenkunden des Unternehmens. Twitter dürfe kein "Ort des Grauens" werden, wo ohne Konsequenzen alles gesagt werden könne, erklärte er darin. Die Plattform müsse "warm und einladend für alle" sein. Er habe Twitter nicht gekauft, weil es einfach sein würde oder um mehr Geld zu machen, schrieb Musk weiter. "Ich tat es, um der Menschheit zu helfen, die ich liebe."
Vom scharfen Kritiker zum Besitzer
Musk hatte sich eigentlich schon im April mit Twitter auf die Übernahme geeinigt. Im Juli erklärte er die Vereinbarung jedoch wegen angeblicher Falschangaben zu Fake-Accounts für ungültig. Twitter klagte daraufhin auf Einhaltung des Kaufvertrags. Anfang Oktober erneuerte der Chef des US-Elektroautobauers Tesla sein Kaufangebot dann überraschend wieder, was zur Aussetzung des Gerichtsverfahrens führte. Die zuständige Richterin hatte den Streitparteien jedoch eine Frist gesetzt, den Deal bis zum heutigen 28. Oktober abzuschließen.
Musk hatte über Monate versucht, die teure Übernahme abzublasen. Nachdem immer klarer wurde, dass seine Chancen beim Gerichtsprozess eher schlecht stehen, gab er seinen Widerstand jedoch auf. Dadurch kommt das kriselnde Unternehmen jetzt ausgerechnet in den Besitz eines Mannes, der die Unternehmensführung die letzten Monate dauernd öffentlich kritisiert und Zweifel am Wert der Firma verbreitet hat. Dass Musk sich mit seiner neuen Rolle als Twitter-Besitzer abgefunden hat, zeichnete sich schon in den vergangenen Tagen klar ab.
Schon vorab getwittert
Bereits am Mittwoch tauchte Musk in der Konzernzentrale in San Francisco auf und bezeichnet sich in seinem Twitter-Profil nun als "Chief Twit". An diesem Freitag will er sich laut US-Medien den Beschäftigten dort vorstellen. Das dürfte kein leichter Auftritt werden, nachdem zuletzt Berichte über einen großen Stellenabbau für Verunsicherung bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesorgt hatten. Informationen, wonach er drei Viertel der Beschäftigten rauswerfen wolle, soll er diese Woche in der Zentrale aber zurückgewiesen haben.
Dass der laut Milliardärs-Rankings wie der "Forbes"-Liste reichste Mensch der Welt jetzt die Fäden bei dem Online-Netzwerk ziehen wird, ist auch politisch brisant. So hat sich Musk bereits dafür ausgesprochen, den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump wieder auf der Plattform aufzunehmen. Trumps Verbannung von Twitter im Zuge von dessen Sympathiebekundungen für Anhänger, die am 6. Jänner 2021 das Kapitol in Washington gestürmt hatten, bezeichnete Musk im Mai als "moralisch falsch und einfach nur dumm". Eine Rückkehr zu dem einflussreichen Netzwerk würde für Trump für eine mögliche Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2024 gerade rechtzeitig kommen.
Trump: "Viel kleiner, aber besser"
Eine Reaktion Trumps auf den Abschluss von Musks Übernahme ließ nicht lange auf sich warten. "Ich bin sehr froh, dass Twitter jetzt in vernünftigen Händen ist und nicht mehr von linksradikalen Spinnern und Verrückten geführt wird, die unser Land wirklich hassen", schrieb er auf der von ihm mitgegründeten Social-Media-Plattform "Truth Social" am Freitag. Twitter müsse nun hart daran arbeiten, sich von all den Bots und gefälschten Konten zu befreien, die dem Online-Dienst geschadet hätten. "Es wird viel kleiner sein, aber besser", erklärte der frühere US-Präsident weiter.
Politisch solidarisierte sich Musk zuletzt mit der weiter von Trump beherrschten Republikanischen Partei. Die Demokraten von US-Präsident Joe Biden seien zur "Partei der Spaltung und des Hasses geworden", schrieb er im Mai bei Twitter. Applaus bekam Musk dafür von der rechten Abgeordneten Lauren Boebert – einer Trump-Anhängerin und Verfechterin lockerer Waffengesetze, die gegen Coronamaßnahmen, Abtreibungen, homosexuelle Ehen und erneuerbare Energie einsteht.
Viel Applaus, viel Ärger
Darüber hinaus erntete Musk Kritik für zwei außenpolitische Vorstöße. So schlug er vor, aus Taiwan eine "Sonderverwaltungszone" unter chinesischer Herrschaft zu machen. Die Regierung in Taipeh wies das als "inakzeptabel" zurück. Auch plädierte Musk dafür, die Ukraine solle die von Russland widerrechtlich annektierte Krim verloren geben und einem Referendum unter UN-Aufsicht in ihren von russischen Truppen besetzten Gebieten zustimmen.
Dann war da noch die Sache mit Kanye West. Als der Rapper im Oktober wegen eines antisemitischen Beitrags bei Instagram gesperrt wurde, postete er erstmals seit fast zwei Jahren wieder bei Twitter. "Willkommen zurück zu Twitter, mein Freund", begrüßte Musk ihn per Tweet. Nur einen Tag später wurde West auch von Twitter wegen einer antisemitischen Äußerung gesperrt. Musk schrieb danach, er habe mit West gesprochen "und meine Besorgnis über seinen jüngsten Tweet ausgedrückt – die er, glaube ich, sich zu Herzen genommen hat". Wenige Stunden nach Vollzug der Übernahme war der Account von West wieder online, wenn auch ohne den anstößigsten Tweet. Wie er Zuckerberg beim Klagen über die Instagram-Sperre als seinen "N..." bezeichnet, ist dagegen weiterzulesen.
Geschäftlich tut sich Twitter schwer
Geschäftlich tut sich Twitter unterdessen schon lange schwer. Angesichts von Inflations- und Konjunkturrisiken halten sich Anzeigenkunden am Online-Werbemarkt zurück, der für die Internetplattform die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle darstellt. Zahlen für das abgelaufene dritte Quartal hat Twitter noch nicht vorgelegt. Doch im vorherigen Vierteljahr ging der Umsatz leicht zurück und es fiel ein Verlust von 270 Millionen Dollar an. Immerhin: Die Zahl der täglich aktiven Nutzer stieg von 229 Millionen auf 237,8 Millionen.
Darüber, wie genau sich der Dienst unter Regie des Tech-Milliardärs verändern wird, kann man derzeit nur spekulieren. In den vergangenen Monaten kündigte Musk an, bei Twitter für mehr Meinungsfreiheit zu sorgen, Fake-Accounts und automatisiert postende Bots zu bekämpfen, den Dienst zu einer Allzweck-App nach Art etwa von WeChat in China auszubauen und den dauerhaft verbannten US-Präsidenten Donald Trump zurück auf die Plattform zu lassen. Letzteres geht leicht – darüber, wie Musk den Rest erreichen will, weiß man nicht viel.
44 Milliarden zusammengekratzt
Dazu kommt, dass Musk durch Verkäufe von Aktien des Elektroautobauers Tesla, Kredite und Investorengelder rund 44 Milliarden Dollar für eine Firma zusammenkratzte, die in ihrem besten Jahr 1,47 Milliarden Dollar Gewinn machte und meist rote Zahlen schrieb. Der Umbau sollte also auch das Geschäft ankurbeln, damit das Geld nicht weg ist.
Twitter veränderte die Welt mit einem einfachen Konzept: Jeder kann eine kurze Nachricht tippen, jeden Nutzer auf der Welt kann sie erreichen. Die Notwasserung eines Passagierjets im New Yorker Hudson River, erste Hinweise auf die US-Aktion gegen Terroristenführer Osama bin Laden – zuerst erfuhr man davon via Twitter.
Leichtes Übernahmeziel
Doch Twitter gelang es nie, dieses Gewicht in der Welt in lukratives Geschäft umzumünzen. Und anders als etwa Mark Zuckerberg bei Facebook sicherten sich die Gründer keine Aktien mit mehr Stimmrechten, die ihre Kontrolle zementieren würden. So wurde die Online-Plattform mit globalem Einfluss zu einem relativ leichten Übernahmeziel. Zuletzt ließ auch die Aktivität vieler Prominenten-Accounts merklich nach. "Stirbt Twitter?", fragte Musk im Frühjahr – wenige Tage bevor er das Kaufangebot machte.
Da Tesla ein großes Werk in Shanghai hat, das sehr wichtig für die Firma ist, wurde in der Öffentlichkeit schon früher die Sorge geäußert, Musk könne bei Twitter zum Beispiel die Meinungsfreiheit rund um China einschränken, um sich mit der Führung in Peking gut zu stellen.