Die chinesische Videoplattform TikTok hat 2022 bei den österreichischen Big Brother Awards Facebook den Rang abgelaufen: Bei der Verleihung des Negativ-Datenschutz-Awards im Wiener Rabenhof am Dienstag ging der Sieg in der Kategorie "Kommunikation und Marketing" an den Social-Media-Überflieger. Möglich macht es der In-App-Browser, der es erlaubt, Tastatur- und Toucheingaben mitzulesen und zu protokollieren. In den weiteren Kategorien siegten u. a. Newcomer PimEyes und Amazon.
TikTok ist jedoch nicht die einzige Social-Media-App, die mit einem solchen integrierten Browser den Datenhunger ihrer Hersteller stillt, hieß es von der Jury des jährlich in fünf Kategorien vergebenen Preises: Auch bei Facebook und Instagram werde beim Öffnen einer Webseite im In-App-Browser ein JavaScript auf der jeweiligen Seite ausgeführt. Daher hätten sich alle Firmen eine Nominierung zu den Big Brother Awards verdient, die bei den In-App-Browsern die Seiten manipulieren.
Die Jury empfiehlt den Usern in der App gepostete Links über einen externen Browser aufzurufen. Und daher ist TikTok ein verdienter Sieger: Bei anderen Apps kann man in der Regel über einen Menüpunkt auswählen, dass der Link in einem anderen Browser geöffnet werden soll – nur bei der Videoplattform aus China geht das leider nicht.
Bildersuche ohne Datenschutz
Was alles geht, zeigt hingegen der Sieger in der Kategorie "Business und Finanzen", der auf den Namen PimEyes hört. Die Suchmaschine des US-amerikanischen Techunternehmens Clearview AI wurde von der Jury ausgezeichnet, weil sie das Ende der Anonymität mit sich bringen würde. Ein Foto von einem Handy oder einer Sicherheitskamera genügt demnach, und schon liefert PimEyes zahlenden Kunden Links zu ähnlichen oder identischen Gesichtern im Netz. Über diese Links ist es dann zumeist ein Leichtes, den Namen, den Beruf oder mehr zu einer gesuchten Person herauszufinden, heißt es in der Begründung.
Zwei Milliarden Gesichter soll PimEyes bereits umfassen, trotzdem soll sich das Unternehmen keine Sorgen über etwaige Probleme mit den Datenschutzbehörden machen, denn zwar gibt es eine Datenbank, doch die besteht nicht aus Fotos. Zahlencodes, sogenannte Hashes sind das Geheimnis, die aus den Gesichtern zuvor berechnet wurden. Mithilfe der Hashes können die Gesichter in der Suchmaschine dann aber wieder blitzschnell gesucht werden.
Amazon als Dauerkandidat
In der Kategorie "Weltweiter Datenhunger" siegt mit Amazon ein alter Bekannter aus dem Reich der Neugierigen. Der US-Konzern habe es schon immer schon verstanden, Informationen und Daten zum Nutzen des Unternehmens zu verwenden, dies zeigen alleine die letztjährigen Big Brother Awards, heißt es in der Begründung. 2022 gewinnt Amazon für seine Anläufe in Richtung Gesundheitssektor. Gekauft wurde dafür unter anderem eine Versandapotheke oder ein Telemedizin-Start-up, und auch der US-Konzern One Medical wurde übernommen. Das Gesundheitswesen sei ein viel zu wichtiges Gut, als es dem Gewinnstreben eines Konzerns zu überlassen, resümierte die Jury.
EU-Rat und Europol konnten indes die Jury so überzeugen, dass das Duo die Kategorie "Behörden und Verwaltung" für sich reklamieren darf. Vorgeschichte zum Gewinn des Awards ist die "Anweisung zur Löschung von Daten über Personen ohne nachgewiesene Verbindung zu einer kriminellen Aktivität", die der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiorowski 2019 an Europol erteilt hat. Der Datenverlust konnte jedoch verhindert werden, erläuterte die Jury, denn der EU-Rat leistete Hilfe, indem die EU-Innenminister ein neues Gesetz erließen, welches die Polizeiagentur mit neuen Aufgabenbereichen und Befugnissen ausstattete. So wurde Europol laut Jury nicht nur zur "Big-Data-Polizei", mit der neuen Verordnung wurde auch die einst rechtswidrige Speicherpraxis rückwirkend legalisiert.
Einen weiteren Sieg auf EU-Ebene gibt es in der Kategorie "Politik" zu vermelden, und zwar dank EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und ihrem Wunsch nach einem Ende der Verschlüsselung von heiklen Daten: Johansson und die EU-Kommission sehen "diesen Trend zum Selbstschutz nicht so gerne, denn wenn Informationen verschlüsselt sind, kann ein Überwacher nicht mehr einfach mitlesen", begründet die Jury ihre Wahl. So wolle die EU-Kommission Onlinedienste zwingen, Inhalte ihrer Nutzer nach Missbrauchsdarstellungen und Grooming zu durchforsten – selbst in verschlüsselten Chats. Die Rechtsstaatlichkeit der Pläne von Johansson wurden allerdings bereits innerhalb der Kommission infrage gestellt. Auch die Award-Vergebenden erinnern: "Es gibt das Briefgeheimnis, es gibt das Telekommunikationsgesetz und es gibt die Menschenrechte, die das eigene Heim und die private Kommunikation unter einen besonderen Schutz stellen."