Die aktuellen innenpolitischen Turbulenzen bringen jene Partei in Bedrängnis, für die Sie in der Regierung sind. Wie schwer fällt es angesichts dessen, den vollen Fokus auf die Inflations- und Krisenbekämpfung zu legen?
MARTIN KOCHER: Wir haben gezeigt, dass das Gesprächsklima in der Regierung weiterhin gut ist, dass die Sacharbeit weitergeht, unabhängig von dem, was passiert. Wir stehen vor großen Herausforderungen und daher ist es notwendig, dass die Regierung gut zusammenarbeitet. Das ist aus meiner Sicht nicht gefährdet.

Wie groß ist die Hypothek dieser Vergangenheit, die sich immer wieder drüberlegt über die Notwendigkeiten der Krisenbekämpfung?
Nicht sehr groß, ich und viele andere aus der Regierungsmannschaft waren in dieser Zeit ja gar nicht dabei. Es wirkt sich auf die Sacharbeit und die jetzt laufenden Gesetzesvorhaben eigentlich nicht aus. Natürlich wäre es schön, ein ruhigeres Umfeld zu haben. Es ist klar, dass Österreich auch im europäischen Kontext eine handlungsfähige Regierung braucht – und das ist gegeben.

Einige Ökonomen gehen bereits fix von einer Rezession in Österreich aus. Was erwarten Sie?
Die jüngsten Prognosen von Wifo und IHS gehen im nächsten Jahr, im Jahresdurchschnitt, von keiner Rezession aus, da wurden 0,2 bis 0,3 Prozent Wachstum prognostiziert. Was wirklich herauskommt, kann niemand sagen. Die Bandbreite möglicher Szenarien um diese Prognose ist relativ groß.

Wie wird sich das auf den Arbeitsmarkt auswirken?
Ich hoffe sehr, dass die Prognosen, wonach die Arbeitslosigkeit selbst bei einem Wachstum nahe null oder darunter nur gering zunehmen wird, eintreffen. Sie erscheinen mir auch deshalb realistisch, weil wir wirklich sehr, sehr viele offene Stellen und viele Bereiche im Arbeitsmarkt haben, wo die Dynamik immer noch ungebrochen hoch ist und viele Arbeitskräfte gesucht werden.

Wie gehen Sie als Arbeits- und Wirtschaftsminister mit Zeitströmungen um, die da lauten: weniger Arbeit, mehr leben?
Ich sehe es nicht als die Aufgabe der Politik, gesellschaftliche Veränderungen und Trends immer zu kommentieren oder gar korrigieren zu wollen. Unsere Aufgabe ist es aber, die richtigen Rahmenbedingungen bereitzustellen und die Anreize so zu setzen, dass die Besteuerung und die Abgabenbelastung von Arbeit nicht zu hoch sind. Oder auch auf fehlende Kinderbetreuungsangebote zu reagieren. Da muss die Politik ihre Hausaufgaben machen und gemeinsam mit Unternehmen an Lösungen arbeiten.

Die Gefahr eines gesellschaftlichen Trends zur Arbeitsverweigerung sehen Sie nicht?
Nein. Wir haben den höchsten Beschäftigungsstand aller Zeiten. Es mag sein, dass sich die Einstellung zur Arbeit etwas ändert, hier geht es für Arbeitgeber auch darum, Antworten darauf zu geben, warum Arbeit sinnstiftend ist, warum das, was ich tue, der Gesellschaft hilft.

Ihre angekündigte Reform der Arbeitslosenversicherung wurde mehrmals verschoben. Wird das aus Ihrer Sicht heuer noch etwas?
Ich bleibe optimistisch. Wir sind schon sehr, sehr weit. Das ist ja auch bekannt, das ist kein Geheimnis. Es gibt viele Punkte, wo es Einigkeit gibt und ein paar Punkte, wo es einfach für alle Seiten, die beteiligt sind, in diesen Gesprächen auch rote Linien gibt und wo auch die Symbolik eine Rolle spielt. Wir reden über eine Reform, die mittel und langfristig wirken soll. Deshalb ist es auch aus meiner Sicht kein Problem, wenn es etwas länger dauert und dafür echte Verbesserungen bringt.

Viele Unternehmen sorgen sich abseits der akuten Brandherde, dass perspektivisch die Wettbewerbsfähigkeit in ganz Europa verloren geht, weil die Energiekrise ja ein europäisches Thema ist und kein asiatisches oder US-amerikanisches.
Mittel- bis langfristig ist tatsächlich die größte Gefahr, dass wir in Europa aus der aktuellen Situation heraus an Wettbewerbsfähigkeit verlieren und dass wir in den energieintensiven Bereichen eine Deindustrialisierung erleben. Das wäre fatal, weil da geht es um die Arbeitsplätze, vor allem aber auch um strategische Abhängigkeiten, die dann neu entstehen würden.

Wie kann man politisch gegensteuern?
Der erste Punkt ist natürlich der Versuch, auf dessen Prüfung man sich jetzt auch am EU-Gipfel verständigt hat, auch tatsächlich die Preise nach unten zu bringen, indem der Preis für jenes Gas, das für die Verstromung eingesetzt wird, gedeckelt und die Differenz zum Marktpreis bezuschusst wird. Und auch ein gemeinsamer europäischer Einkauf wird von uns unterstützt. Es gibt eine Reihe von Vorschlägen, die eben nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die Ursache der hohen Preise und damit die Wettbewerbsfähigkeit europaweit und weltweit erhalten. Europa muss aber auch, so wie andere Regionen der Welt, in der Energiepolitik eine gemeinsame strategische außenpolitische Perspektive einnehmen und nicht nur den eigenen Binnenmarkt sehen. Diese große Zäsur ist auch politisch zu verstehen.

Kritiker des vor Kurzem präsentierten Budgets vermissen vor allem, dass dieses Budget zu wenig die strukturellen Fehlstellungen des Landes auch ins Visier genommen hat, Stichwort Pensionsreform. Können Sie dieser Kritik etwas abgewinnen?
Ich habe die Kritik ja früher auch immer wieder selbst formuliert, in meinen "Jugendjahren". Idealerweise ist jedes Budget auch eine Strukturreform. Wir haben aber schon viele Strukturreformen, die im Regierungsprogramm stehen, abgearbeitet, trotz der Krise – Stichwort: Steuerreform und Abschaffung der kalten Progression. Im Pensionsbereich war keine große Reform geplant. Dennoch hat man einen guten Kompromiss gefunden. Wir müssen aber weiter wachsam sein, damit die Ausgaben für Pensionen im Budget nicht aus dem Ruder laufen. Das ist allen bewusst.

Man hat aber insgesamt das Gefühl, dass die Zeit zu Ende geht, wo große Ausgaben- oder Hilfspakete präsentiert werden können, ohne gleichzeitig eine Gegenfinanzierung vorzustellen, wie das Beispiel Großbritannien zeigt.
Ja, völlig richtig. Ratingagenturen sind keine ideologischen Spieler, die sehen sich einfach an, welche Zinszahlungen zu erwarten sind. Vor einem Jahr lagen die Zinsen noch bei null, damit gab es fiskalisch mehr Spielraum, weil man sich relativ günstig verschulden konnte. Jetzt ist das teurer geworden. Es gilt also, Budgets treffsicher einzusetzen, darauf wird jetzt viel genauer geschaut, das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern. Die Spielräume werden kleiner. Die Diskussion über Treffsicherheit ist berechtigt, die sollte man bei allen Instrumenten immer im Blick behalten.

Es geht da auch um die Erwartungshaltung der Bevölkerung, es wurde zuletzt eine staatliche Vollkaskomentalität attestiert – braucht es da eine pädagogische Intervention?
Es geht darum, zu erklären, zu moderieren, um die Anspruchshaltung in die Perspektive zu rücken. Es ist legitim, dass Interessensgruppen für sich etwas fordern, aber die Zielkonflikte müssen dargestellt werden: Gibt es auf der einen Seite mehr, gibt es auf der anderen weniger. Einen Zielkonflikt gibt es derzeit etwa im Zusammenhang mit der Kurzarbeit …

Welchen?
Es gibt energieintensive Unternehmen, die sich aufgrund der hohen Energiekosten derzeit sehr schwertun. Die würden gerne Kurzarbeit in Anspruch nehmen, aber wir sind im Moment streng bei den Kurzarbeitsrichtlinien, weil es sehr viele offene Stellen gibt. Ich verstehe total, dass diese betroffenen Unternehmen gerne Kurzarbeit hätten, weil sie sonst Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vielleicht kündigen müssen – und sie die in drei, vier Monaten, wenn es möglicherweise wieder besser geht, nicht mehr kriegen. Aber man muss dann eben auch sagen, dass andere Unternehmen, die jetzt dringend Mitarbeiter benötigen, keine bekommen, weil es hier eine Knappheit gibt. Diese Zielkonflikte muss man offen ansprechen.

Hohe Energiekosten werden also auch künftig kein Bewilligungsgrund für die Kurzarbeit sein? Gerade die Industrie in Kärnten und der Steiermark hatte das zuletzt ja wiederholt gefordert …
Ein reines Kostenargument ist kein Argument für die Kurzarbeit. Solange es keine Engpässe bei der Energieversorgung gibt, das wäre dann eine andere Situation, bei der wir die Richtlinien anpassen müssten. Gründe für Kurzarbeit müssen immer darauf basieren, dass nicht beeinflussbare Ereignisse wie etwa Lieferunterbrechungen vorliegen, die temporäre Produktionsunterbrechungen notwendig machen oder generelle Störungen des Arbeitsmarkts. Die Energiekosten spüren derzeit alle, die Kurzarbeit ist kein Instrument, um generell Unternehmen zu unterstützen. Dafür gibt es den Energiekostenzuschuss und andere Instrumente. Das sollte man auch nicht vermischen.