Dutzende Schiffe mit dem in Europa wegen ausbleibender russischer Energielieferungen heiß begehrten verflüssigten Erdgas (LNG) stauen sich vor der spanischen Küste. Der Grund: Sie finden keine Stelle zum Entladen. Wenn der Rückstau nicht bald beseitigt wird, könnten sich diese Schiffe nach alternativen Häfen außerhalb Europas umsehen, um ihre Ladung loszuwerden, warnen Experten.
Mehr als 35 mit LNG beladene Schiffe treiben vor Spanien und im Mittelmeer, wie Händler, Analysten und mit der Situation vertraute Mitarbeiter von LNG-Terminals der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Spanien bietet in dieser Woche aber nur sechs der begehrten Slots an seinen Terminals an, sagte ein Insider. Das Land verfügt über insgesamt sechs Terminals. In einer am späten Montagabend veröffentlichten Erklärung mit dem Titel "Erklärung einer außergewöhnlichen Betriebssituation" betonte der spanische Gasnetzbetreiber Enagás, dass er aufgrund von Überkapazitäten möglicherweise LNG-Ladungen zurückweisen müsse. Die starke Auslastung werde voraussichtlich mindestens bis zur ersten Novemberwoche anhalten. An den Anlagen kann das flüssige Gas aus den Transportschiffen abgepumpt, durch Erwärmung wieder gasförmig gemacht und anschließend in das Gasnetz eingespeist werden.
Außerdem liegen LNG-Schiffe in der Nähe anderer europäischer Länder vor Anker. Das könnte darauf hindeuten, dass noch Dutzende weiterer Schiffe warten, sagte ein Insider. "Wir haben eine große Anzahl von Ladungen gesehen, die vor der Küste Südspaniens warten oder im Mittelmeer kreisen", sagte Alex Froley, LNG-Analyst beim Datenanalyseunternehmen ICIS. "Auch harren einige Ladungen vor dem Vereinigten Königreich aus." Möglicherweise liege das auch daran, dass einige Schiffe vor Beginn der Heizperiode darauf warten, ihre Ladungen zu einem höheren Preis zu verkaufen. "Diese Strategie funktioniert zum Teil, weil einige Unternehmen aufgrund von Ausfällen wie der Schließung der US-Anlage Freeport über Flexibilität in ihrem Verschiffungsportfolio verfügen", sagte Froley mit Blick auf den zweitgrößten US-Exporteur von LNG, der im Juni nach einer Explosion und einem Brand seinen Betrieb einstellte.
In Deutschland keine LNG-Terminals
Spanien verfügt über die größten Wiederverdampfungskapazitäten in der Europäischen Union: Sie machen ein Drittel des gesamten LNG und 44 Prozent der LNG-Speicherkapazität aus. Deutschland verfügt aktuell über keine eigenen LNG-Terminals. Im kommenden Winter sollen zwei schwimmende LNG-Anlagen in Wilhelmshaven und Brunsbüttel einsatzbereit sein, um Importe von Flüssiggas ins deutsche Gasnetz einzuspeisen. Zusammen haben sie eine Kapazität von jährlich bis zu 12,5 Milliarden Kubikmeter. In Stade und Lubmin könnten zwei weitere dieser Anlagen zum Einsatz kommen, die wie auch die ersten später durch feste LNG-Terminals ersetzt werden könnten.