IHS-Direktor Klaus Neusser glaubt, dass die Maßnahmen der EZB gegen die Inflation noch ein halbes oder ein Jahr brauchen werden, bis die Wirkung sichtbar wird. Auf den Energiemärkten werde es wohl keine weiteren gravierenden Preissteigerungen geben, aber "es ist noch nicht alles bei den Konsumenten angekommen", sagte Neusser am Sonntag in der ORF-"Pressestunde". "Also da kommt noch etwas, aber dann nachher sollte es eigentlich abflauen".
Die hohe Inflation sei etwa zur Hälfte vom Ukraine-Krieg verursacht worden, meinte Neusser. Die bisherigen Zinsanhebungen - der Leitzins der EZB liegt derzeit bei 1,25 Prozent, jener der US-Notenbank Fed bei 3,0 bis 3,25 Prozent - würden nicht reichen, "real sind die Zinsen immer noch negativ". Es sei zu erwarten, dass die Fed noch ganz scharf vorgehen und die Zinsen über 4 Prozent anheben werde. "Ich hoffe, dass auch in Europa da nachgezogen wird." Der Euro sei gegenüber dem US-Dollar und dem Schweizer Franken extrem schwach geworden, "das ist natürlich auch ein Treiber für die Inflation".
Sanktionen zeigen Wirkung
Die westlichen Sanktionen haben nach Ansicht des IHS-Chefs eine große Wirkung auf Russland, "das Land geht wirtschaftlich den Bach hinunter". Allerdings habe das wenig Auswirkung auf die herrschenden Kreise, die Sanktionen müssten die richtigen Leute treffen. Das IHS hat auch berechnet, was ein kompletter Stopp der russischen Gaslieferungen für Österreich bedeuten würde - man sei auf einen Wohlstandsverlust von 3 Prozent des BIP gekommen, sagte Neusser.
Allerdings seien die Menschen und Betriebe sehr unterschiedlich davon betroffen. So könnten etwa die Stahl- und die Chemieindustrie Erdgas schwer substituieren. Bis zum Sommer 2023 müssten laut IHS-Modellrechnung beim Gasverbrauch 27 Prozent eingespart werden, 15 Prozent Einsparung bei den Haushalten wäre realistisch, meint Neusser. "Ich denke, wir werden hier in Österreich vielleicht mit ein paar Schrammen über den Winter kommen." Bei einem Preisdeckel auf Gas aus Russland sollte Österreich "forscher mitgehen", meint der IHS-Chef, die Ukraine sei historisch gesehen ein altes Kulturgebiet für Österreich, "wir sind da auch ein bisschen in der Bringschuld".
"Immer wieder schwierige Situationen gemeistert"
Im Hinblick auf die Lohnverhandlungen zeigte sich Neusser zuversichtlich, die Verhandler hätten "immer wieder schwierige Situationen gemeistert". Auf eine angemessene Prozentzahl für die Lohnerhöhungen wollte sich Neusser nicht festlegen, "es gibt ja viele andere Parameter, an denen man auch drehen kann" - etwa bei den Laufzeiten der Verträge, Einmalzahlungen, differenzierten Erhöhungen für verschiedene Arbeitnehmergruppen oder branchenspezifischen Lösungen.
Bei der Reform des Arbeitslosengeldes kommt es für Neusser nicht so sehr auf die Geschwindigkeit an. "Ich finde: Besser, man macht eine gute Reform und eine, die konsensual ist." Es sei wichtig, dass die Reform auch von der Opposition mitgetragen werde.
Bei den zahlreichen Hilfsmaßnahmen der Regierung hat Neusser nach eigenem Bekunden "schon den Überblick verloren", die Maßnahmen seien außerdem sehr teuer und würden erst im nächsten Jahr greifen. Er denke dabei etwa an die Indexierung der Sozialleistungen, "was ein wichtiger Meilenstein ist", oder an die Abschaffung der kalten Progression, die auch erst im nächsten Jahr greifen werde. Bei der Strompreisbremse hätte man die Grenze, für den subventionierten Grundbedarf deutlich unter 2900 kWh ansetzen und dafür die Kinderbeihilfe erhöhen können, findet der IHS-Chef.
Riesige Investitionen, um die Klimawende zu schaffen
Die CO₂-Steuer sollte man seiner Ansicht nach nicht noch einmal verschieben, sondern zu der Maßnahme stehen. Immerhin sei ja der Klimabonus auch schon ausbezahlt worden. Eine Besteuerung von Zufallsgewinnen lehnt Neusser ab und argumentiert dabei mit der Rechtssicherheit. Die Konzerne hätten nun Gewinne gemacht, weil sie in erneuerbare Energien investiert hätten. Ihnen die Erträge im Nachhinein wegzunehmen, sei nicht gut, weil man noch riesige Investitionen brauche, um die Klimawende zu schaffen.
Falsch findet Neusser, zusätzliche Pensionserhöhungen aus Steuergeldern zu finanzieren, vielmehr sollte die Erhöhung an die Lohnsumme gekoppelt werden. "Ich würde plädieren, dass man Armutsbekämpfung und Pensionen ein bisschen auseinanderhält". Das sei nicht der Fall, wenn man niedrige Pensionen stärker anhebe. Beim Pensionsantrittsalter sollte man flexible Übergänge schaffen, damit man über 65 noch arbeiten kann, ohne finanzielle Nachteile zu haben - das könnte auch eine Lösung für den Fachkräftemangel sein.
IHS auf Chefsuche
Neusser ist interimistischer Leiter des IHS und will nicht auf Dauer Direktor des Instituts bleiben. "Mein Deal ist ganz klar, dass ich so lange bleibe, bis der Nachfolger oder die Nachfolgerin gefunden ist." Die Bewerbungsfrist gehe Anfang Oktober zu Ende.