Die Stahlbranche mit Konzernen wie Thyssenkrupp und ArcelorMittal tritt wegen der schwächelnden Nachfrage, explodierender Energiekosten und einer drohenden Rezession auf die Bremse. Von Jänner bis Ende August schrumpfte die Rohstahlproduktion in Deutschland nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl im Vergleich zum Vorjahr um knapp fünf Prozent.
Die Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie und die verarbeitenden Branchen seien alles andere als gut, sagte Verbands-Präsident Hans Jürgen Kerkhoff der Nachrichtenagentur Reuters in einem am Freitag veröffentlichten Interview. "Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, Lieferkettenprobleme, die Zinswende und eine schleppende Weltkonjunktur haben die Entwicklung deutlich belastet."
"Rezession zeichnet sich deutlich ab"
Der deutsche Branchenprimus Thyssenkrupp Steel Europe regierte auf das Umfeld: "Wir haben unsere Produktion entgegen früherer Planungen im Jahr etwas nach unten angepasst", erklärte der Konzern. Details nannte er nicht. "Wir sehen die aktuelle Zurückhaltung unserer Kunden als Indikator der sich jetzt deutlich abzeichnenden Rezession." Es sei unklar, ob es sich um vorübergehende oder dauerhafte Rückgänge handle. "Wir haben es mit einer Reihe von temporären, mittelfristigen Phänomenen – Lieferengpässe, Energiepreiskrise – zu tun, bei denen wir noch nicht beurteilen können, ob sich daraus langfristige Folgen für unsere Wertschöpfungsketten ergeben." Daher sei eine Prognose hier derzeit schwierig.
Große Sorgen bereiten den Herstellern die stark gestiegenen Energiekosten. Verbands-Präsident Kerkhoff bezeichnet die Situation als dramatisch. "Zurzeit müssen wir mit jährlichen Mehrkosten von über zehn Milliarden Euro im Vergleich zum Anfang des Vorjahres rechnen." Dies sei rund ein Viertel des Umsatzes, den die Stahlindustrie in Deutschland in den vergangenen Jahren durchschnittlich erzielt habe. Die Erdgas- und Strompreise seien deutlich höher als in den USA und Asien, was die Wettbewerbsfähigkeit belaste. Die Stahlimporte in die EU hätten im ersten Halbjahr mit 48 Millionen Tonnen ein Rekordhoch erreicht. "Die explodierenden Energiekosten wirken in dieser Situation als Brandbeschleuniger", betont Kerkhoff. Die Stahlbranche beschäftigt in Europa mehr als 300.000 Mitarbeiter, darunter etwa 76.000 in Deutschland.
"Das kann nicht jahrelang so weitergehen ..."
Die Unternehmen versuchen, gegenzusteuern. So hat der Edelstahl-Hersteller Aperam beim Ökostrom aufgerüstet. Vier Windräder und über 50.000 Solarmodule hat das Unternehmen an seinem Standort Genk im Osten Belgiens installiert. Dennoch hat der Konzern die Produktion herunterfahren müssen. Die Energiekosten sind jetzt in einem Monat so hoch wie früher im gesamten Jahr. Aperam versuche, die Zeit zu überbrücken, sagte Europa-Chef Bernard Hallemans der Nachrichtenagentur Reuters. Das könne aber nicht jahrelang so weitergehen. Falls doch, drohe in Branchen wie der Stahlindustrie das Aus. Dann wäre Europa in diesen Bereichen auf Importe angewiesen.
Die Stahlindustrie gehört neben der Chemie-, Aluminium-, Papier- und Zementindustrie zu den energieintensivsten Branchen überhaupt. ArcelorMittal - nach der chinesischen Baowu Group zweitgrößter Hersteller der Welt - hat auf die Kostenexplosion reagiert. Der Stahlkocher kündigte an, wegen der hohen Energiekosten zwei Anlagen in Bremen und Hamburg vorübergehend abzuschalten. In beiden Werken gebe es bereits Kurzarbeit, die nun ausgeweitet werde. Auch an den Produktionsstandorten in Duisburg und Eisenhüttenstadt herrsche Kurzarbeit. Stilllegungen gibt es auch bei AarcelorMittal in Frankreich, Polen und Spanien. In Europa rechnet der Konzern im vierten Quartal mit einem Rückgang der Produktion gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 17 Prozent.