Schon während der Coronakrise hat die EU-Kommission den Mitgliedstaaten viel Spielraum für Stützungsmaßnahmen für die Wirtschaft gelassen und auch nun, bei den hohen Energiepreisen, arbeiten die Regierungen der Mitgliedsstaaten an unterschiedlichen, nur für das jeweilige Land passenden Regeln. Nun hat die EU-Kommission ein neues Kriseninstrument vorgestellt, welches dafür sorgen soll, dass solche Alleingänge nicht den offenen und freien EU-Binnenmarkt gefährdet.
"Die Covid-19-Krise hat es deutlich gemacht: Wir müssen unseren Binnenmarkt jederzeit funktionsfähig machen, auch in Krisenzeiten", teilte EU-Kommissionsvizepräsidentin Margrethe Vestager mit. Vor allem zu Beginn der Pandemie hatten etliche Länder wieder Grenzkontrollen eingeführt. Riesige Staus etwa störten zum Teil Lieferketten.
Der für Industrie zuständige Kommissar Thierry Breton betonte: "Wir müssen besser darauf vorbereitet sein, die nächste Krise zu erkennen und darauf zu reagieren."
Drei Phasen
Konkret soll es drei Phasen geben: Planung, Wachsamkeit und Notfall. Zwangsmaßnahmen für Firmen sollen erst möglich sein, wenn der Notfallmodus ausgerufen wurde. Dies kann etwa der Fall sein, wenn es bereits zu schwerwiegenden Störungen im Binnenmarkt gekommen ist. Der Notfallmodus soll zudem auf sechs Monate begrenzt sein.
In der ersten Phase sollen neben Planungen auch Übungen stattfinden. In der zweiten Phase sollen unter anderem Vorräte strategisch wichtiger Waren aufgebaut werden. Zudem ist vorgesehen, Lieferketten strenger zu überwachen, um mögliche Störungen frühzeitig zu erkennen.
Im Notfallmodus – der nur im Einklang mit einer Mehrheit der EU-Staaten ausgerufen werden kann – wird die Freizügigkeit im Binnenmarkt durch eine schwarze Liste verbotener Beschränkungen aufrechterhalten, wie die Kommission mitteilte. In diesem Fall kann die Kommission Informationen von Firmen verlangen, die im Zweifel auch verbindlich erteilt werden müssen.
Zudem kann sie Unternehmen dazu auffordern, bestimmte Aufträge für krisenrelevante Güter vorrangig zu behandeln. Wenn ein Unternehmen keine schwerwiegenden Gründe hat, warum dies nicht möglich ist, oder Dinge verspricht, die es später nicht einhält, könnten auch Strafzahlungen fällig werden, so Vestager.
Beratungen folgen
All diese Schritte sollen von einer Beratungsgruppe begleitet werden. Diese setzt sich den Angaben zufolge aus der Kommission sowie je einem Vertreter oder einer Vertreterin der EU-Staaten zusammen.
Auf welche Produkte sich das Instrument genau bezieht, wird offengelassen. Zu Waren und Dienstleistungen von strategischer Bedeutung, bei denen in Phase zwei das Anlegen von Vorräten angeordnet werden kann, heißt es etwa im Gesetzentwurf: Dies seien solche, die nicht ersetzt werden können und die für das Funktionieren des Binnenmarktes in strategisch wichtigen Bereichen unverzichtbar seien. Krisenrelevante Güter seien solche, die unverzichtbar seien, um auf die Krise zu reagieren oder deren Auswirkungen zu bewältigen.
Das neue Instrument soll nicht auf Produkte angewendet werden, für die es bereits EU-Regulierungen gibt. Dies kann bei medizinischen Waren der Fall sein – zudem wird gerade beispielsweise über Vorgaben zur Mikrochip-Produktion verhandelt.
Die EU-Staaten und das EU-Parlament müssen nun über die Vorschläge beraten. Bevor sie verbindlich in Kraft treten können, müssen beide Institutionen einen Kompromiss aushandeln.