Die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich mit einer historischen Zinserhöhung gegen die Rekordinflation im Euroraum. Erstmals in der Geschichte der Notenbank beschloss der EZB-Rat eine Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 1,25 Prozent, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte.
Die EZB stellte zugleich weitere Zinserhöhungen in den nächsten Monaten in Aussicht. "Wir werden auch bei den kommenden Sitzungen die Zinsen durchaus stark anheben, damit wir schnell zu einem Zinssatz kommen, der garantiert, dass wir unser Mittelfristiges Inflationsziel von 2,0 Prozent erreichen", erklärt EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Wie hoch dieser finale Zinssatz sei, wisse sie derzeit nicht. Nur soviel ist klar: "Wir sind noch weit davon entfernt."
Bei seiner Sitzung am 21. Juli hatte der EZB-Rat erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Viele kritisierten, dass die Notenbank mit dem Schritt zu lange gewartet habe. Dem entgegnet Lagarde, dass der Normalisierungspfand bereits im Dezember begonnen habe. Dennoch gesteht sie ein, dass die Inflationsprognosen des vergangenen Jahres falsch ein. "Dafür übernehme ich auch die Verantwortung. Doch niemand konnte vor einem Jahr den Angriff Russlands auf die Ukraine und die Erpressung Europas mit Energielieferungen vorhersehen."
Inflation bleibt hoch
Ein Ende der Preissteigerungen im Euroraum ist nicht in Sicht: Im August kletterte die Inflation im Währungsraum der 19 Länder getrieben von steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen auf die Rekordhöhe von 9,1 Prozent. Für heuer wird eine durchschnittliche Teuerung von 8,1 Prozent prognostiziert, 2023 soll sie auf 5,5 Prozent sinken und sich erst 2024 mit 2,4 Prozent dem Inflationsziel der EZB von 2,0 Prozent nähern. Teuerung und hohe Energiepreise belasten die Wirtschaft im Euroraum.
Getrieben wird die Teuerung vor allem durch die Preise bei Energie und Lebensmitteln, doch sie schlägt sich nun auch auf andere Bereiche durch. Mit höheren Zinsen soll daher auch die Nachfrage gedämpft werden, die Menschen sollen mehr sparen und weniger ausgeben. Und die Daten zeigen: Bei Wohnbaukrediten gibt es erste Folgen der neuen Zinspolitik. Diese gehen bereits zurück.
Trübe Wirtschaftsaussichten
Auch im ersten Quartal 2023 rechnet die EZB mit einer stagnierenden Wirtschaftsleistung. Dank des guten Starts ins Jahr dürfte das Wachstum der Eurozone heuer dennoch bei 3,1 Prozent liegen. Im letzten Quartal dürfte die Wirtschaft dann schon stagnieren, ebenso im ersten Quartal des kommenden Jahres. Dennoch geht sich 2023 ein Plus von 0,9 Prozent aus und 2024 könnten es dann wieder 1,9 Prozent Wachstum sein.
Die Volkswirte der EZB haben jedoch auch ein Szenario durchgerechnet, bei dem es zu einem absoluten Stopp der Gaslieferungen aus Russland kommt und auch aus andere Länder rund um die Welt kein Ersatz geliefert wird. In dem Fall wird die Wirtschaft der Eurozone im kommenden Jahr um 0,9 Prozent schrumpfen, sich aber 2024 wieder fangen.
Keine Hilfen mit der Gießkanne
Positiv streicht Lagarde hervor, dass der Arbeitsmarkt robust ist. 600.000 neue Jobs wurden im vergangenen Quartal in der Eurozone geschaffen. Die Arbeitslosenquote liegt bei einem Rekordtief von 6,6 Prozent. Die Inflation werde auch für steigende Löhne sorgen, sagt Lagarde. Bei Hilfszahlungen für die Bevölkerung ruft Lagarde die Regierungen der Euroländer auf, "nur zielgerichtet jene Menschen zu unterstützen, die Hilfe nötig haben, um nicht die Inflation weiter anzuheizen." Auch Infrastrukturinvestitionen sollten darauf abzielen die Wirtschaft der Länder robuster zu machen.
Im Umgang mit dem großen Anleiheportfolio ändert die EZB ihre Politik nicht. Sie wird weiterhin fällige Anleihen aus ihren vergangenen Kaufprogrammen reinvestieren und mit diesen Eingriffen auch dafür sorgen, dass es zu keinen zu hohen Zinsunterschieden zwischen den Eurostaaten kommt.
Roman Vilgut