Warteschlangen, Verspätungen und Flugstreichungen: Lufthansa-Chef Carsten Spohr stimmt die Passagiere auf Flugchaos im Sommer ein. Nach dem Hochfahren des Luftverkehrs nach der Coronapandemie von fast 0 auf knapp 90 Prozent könne die Branche nicht die gewohnte Verlässlichkeit, Robustheit und Pünktlichkeit liefern, schrieb Spohr in einem Brief des Konzernvorstands an die Kunden.
"Wir können uns dafür bei Ihnen nur entschuldigen und wollen dabei auch ganz ehrlich sein: In den nächsten Wochen, mit weiter steigenden Passagierzahlen, ob Urlaub oder Geschäftsreisen, wird sich die Situation kurzfristig kaum verbessern." Es fehlten nicht nur bei der AUA-Mutter Lufthansa, sondern in der gesamten Branche noch zu viele Mitarbeiter.
Die Gewerkschaft Verdi warnte zu Beginn der Sommerferien vor einem Gewaltproblem. "Wir sehen, dass der Frust der Fluggäste immer häufiger an Beschäftigten ausgelassen wird, die gar nichts für die Probleme können", sagte Verdi-Luftfahrtexperte Sven Bergelin den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Es gibt eine drastische Zunahme an psychischer und physischer Gewalt." An Spitzentagen müsse man sehr lange Wartezeiten einkalkulieren. Auch der hohe Krankenstand von 20 Prozent an deutschen Airports sei ein Problem. "Wir beobachten an den Flughäfen zurzeit ein Chaos mit Ansage." Verdi habe schon Mitte 2021 davor gewarnt, dass diese Probleme wegen des Personalabbaus auftreten könnten. "Wir sehen, dass 20 Prozent des Bodenpersonals fehlt, in absoluten Zahlen sind das 5.000 Leute." Verdi will mit der Lufthansa-Tochter Eurowings auf einem Krisengipfel Lösungen für die Personalengpässe im Sommer ausloten.
Stabilität erst im Winter
Lufthansa-Chef Spohr betonte: "Allein in Europa sind mehrere Tausende Neueinstellungen geplant." Dieser Kapazitätsaufbau werde die Lage aber erst im Winter stabilisieren. Im Sommer 2023 dürfte die Situation der globalen Luftfahrt deutlich verlässlicher sein. In einem Brief an die Belegschaft räumte Spohr ein, Lufthansa habe bei der Rettung des Unternehmens in den vergangenen zwei Jahren Fehler gemacht. "Haben wir es unter dem Druck der mehr als zehn Milliarden Euro pandemiebedingten Verluste mit dem Sparen an der ein oder anderen Stelle übertrieben? Sicher auch das."
Die Personalengpässe bei Fluglinien und Flughäfen werden durch hohe Corona-Neuinfektionen noch verschärft. Europaweit streichen Airlines Flüge, um das überforderte System zu entlasten. Allein die Lufthansa nimmt rund 3000 Verbindungen im Sommer an den Drehkreuzen Frankfurt und München aus dem Flugplan. Dies soll innerdeutsche und europäische Flüge betreffen, nicht aber die klassischen Urlaubsziele.
Trotz Flugchaos hofft der Touristik-Riese TUI auf eine Feriensaison nahe des Vorkrisenniveaus. Derzeit liege die Nachfrage durchgängig über dem Stand von 2019. "Wir holen rasant auf und sind mehr als zuversichtlich, dass wir in diesem Jahr ein Sommergeschäft sehen, das an 2019 herankommt", sagte TUI-Deutschland-Chef Stefan Baumert. Der deutsche Konzern setzt darauf, dass die meisten TUI-Urlauber um das Flugchaos herumkommen. "Trotz aller Herausforderungen aufgrund von Personalengpässen in der Branche werden die Ferien für die überwiegende Mehrheit reibungslos verlaufen." Der Flugplan der eigenen TUIfly-Maschinen bleibe ebenso bestehen wie die Planungen für zusätzliche Reserveflugzeuge zu Spitzenzeiten.
Airlines, Flughäfen und Bodendienstleister setzen darauf, dass rund 2.000 Hilfskräfte aus dem Ausland befristet für rund drei Monate die gröbste Not beim Personalmangel rund um Gepäckabfertigung, Check-in und Sicherheitskontrollen abmildern können. Allerdings dürften die meisten wohl frühestens im August zum Einsatz kommen – und damit für das Feriengeschäft an vielen Flughäfen schon zu spät, sagte Thomas Richter, der Chef des Arbeitgeberverbands der Bodenabfertigungsdienstleister im Luftverkehr (ABL), jüngst im Reuters-Interview. "Es löst nicht das Problem, aber es hilft mit Sicherheit."
Mittelmeer boomt
Gefragt sind bei TUI vor allem Ziele rund ums Mittelmeer – wie Mallorca und die Türkei. Der Konzern appellierte an Urlauber, mit der Reise auch gleich einen Mietwagen zu buchen, da Engpässe zu hohen Preisen führen dürften. Wer sich erst am Urlaubsort entscheide, "könnte leer ausgehen". Die Inflation schlage noch kaum auf Pauschalreisen durch. Es gebe noch Pakete mit Preisen von 2021. Wenn diese Kontingente aber bald ausgeschöpft seien, werde tagesaktuell abgerechnet. Zudem sei Last-Minute nicht mehr so günstig wie vor der Pandemie – "höhere Preise von bis zu zehn Prozent werden keine Seltenheit sein".