Trotz Wintertrockenheit und ausbleibender Niederschläge zu Beginn des Jahres dürfte die Getreideernte heuer höher ausfallen als im Vorjahr. Die Landwirtschaftskammer (LK) erwartet eine Menge von rund 2,97 Mio. Tonnen (exklusive Mais), das entspricht einem Zuwachs von 6,0 Prozent im Vergleich zu 2021 und einem Plus von 3,0 Prozent gegenüber dem Fünfjahresschnitt. Als Hauptgrund für den guten Ausblick nannte LK-Präsident Josef Moosbrugger die besseren Witterungsbedingungen ab Mai.
"Wir haben ein sehr herausforderndes Frühjahr hinter uns. Nach extremer Trockenheit haben sich die Niederschläge aber recht gut verteilt", sagte Moosbrugger am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Niederösterreich. Während der Dürremonate habe sich das Getreide als erstaunlich robust erwiesen, auch dank der kühlen Monate März und April. Abgerechnet werde aber erst dann, wenn die Ernte "unter der Scheune oder unter dem Dach ist", räumte er ein. Die gute Nachricht sei, dass "die Versorgung der Bevölkerung in wichtigen Lebensmittelbereichen, vor allem bei Getreide, gesichert ist."
Rückgang bei Sommergerste
Eine deutliche Erhöhung der Erntemenge im Vergleich zu 2021 erwarten die Agrarier bei Hartweizen (+22 Prozent) und Roggen (+9 Prozent). Üppiger als im Vorjahr dürfte auch der Ertrag von Wintergerste, Weichweizen und Triticale ausfallen (jeweils +7 Prozent). Rückgänge wird es nach der Einschätzung der Landwirtschaftskammer bei Sommergerste (-20 Prozent) und Hafer (-18 Prozent) geben.
Dennoch sei derzeit "nicht alles eitel Wonne". Zu kämpfen hätten die Bäuerinnen und Bauern vor allem mit gestiegenen Betriebsmittelkosten durch die Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Zuletzt waren die Preise für Dünger, Treibstoffe und Energie in die Höhe geschnellt. Alleine die Kosten für Dünger lägen derzeit drei-bis fünfmal so hoch wie noch vor der Krise, betonte Moosbrugger. Und: "Wir spüren, dass auch die Wetterextreme zunehmen." Dass der Ernteausblick angesichts dieser Herausforderungen gut ausfalle, liege neben den jüngst verstärkten Niederschlägen insbesondere an klugen Anbau- und Kulturpflegemaßnahmen der heimischen Landwirte.
Durch die Krise rücke vor allem das Thema Lebensmittelversorgung in den Mittelpunkt – in Österreich, aber insbesondere in Europa, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Pflanzenproduktion der Landwirtschaftskammer, Nikolaus Berlakovich. Der Krieg habe die Verletzlichkeit der internationalen Systeme offenbart. Die Europäische Union müsse vor diesem Hintergrund und den weiter steigenden Preisen die Agrarproduktion neu bewerten, forderte Berlakovich. Sicherzustellen sei neben der Lebensmittelversorgung Europas aber auch die Sicherheit in Ländern außerhalb, etwa in Nordafrika.
Mehr Flächen für Soja
Als wichtigen Schritt für die Lebensmittelsicherung in Österreich hob Moosbrugger das vergangene Woche präsentierte Versorgungssicherheitspaket hervor. Davon würden vor allem jene Bereiche profitieren, die derzeit besonders unter den Verwerfungen am Markt leiden. Das seien vor allem Geflügel und Schwein, aber auch die Rinderwirtschaft. Der Beitrag sei "nicht etwas, um den Markt zu entlasten, sondern ein Signal an die Bäuerinnen und Bauern, in der Produktion zu bleiben."
Direkt niedergeschlagen haben sich Auswirkungen des Krieges bei der Nutzung der Anbauflächen bzw. der Auswahl der Pflanzenkulturen. So stieg die Sojabohnen-Fläche, deren Anbau vergleichsweise weniger teuren Dünger erfordert, von 76.000 Hektar auf 93.000 Hektar. Bei der Maisanbaufläche sind die Folgen der hohen Düngerpreise ebenso sichtbar. "Da für diese ertragsstarke Kultur etwas mehr Dünger erforderlich ist und auch deutlich höhere Trocknungskosten zu erwarten sind, haben sich einige Landwirte für andere Kulturen entschieden", erklärte Moosbrugger.
Die Getreideanbaufläche ohne Mais ist heuer im Vergleich zu 2021 um 3 Prozent auf 540.756 Hektar gewachsen. An Fläche gewonnen haben zuletzt Winterkulturen wie Winterweizen, Wintergerste, Dinkel und auch Winterroggen. Eingebüßt haben – wie schon in den Vorjahren – die Sommerkulturen. So hat etwa die Anbaufläche für Sommergerste, bei der wegen Frühjahrstrockenheit immer wieder Ertrags- und Qualitätsausfälle zu beklagen sind, um 20 Prozent auf 26.000 Hektar abgenommen. Auch Zuckerrübe, Ölkürbis, Ackerbohne, Kartoffeln und Sonnenblumen wurden heuer etwas weniger angebaut.
Mit Blick auf die gestiegenen Preise am Getreidemarkt äußerte Moosbrugger Zweifel, dass diese auch tatsächlich bei den Betrieben ankommen. Die letzte Ernte liege schon länger zurück, bisher wären die hohen Notierungen anderen Akteuren am Markt zugutegekommen. Die Verknappung der Exportmengen aus der Ukraine hatte die Getreidepreise zuletzt in lichte Höhen katapultiert. Am Dienstag notierte der Pariser Weizenkontrakt bei rund 380 Euro, vor einem Jahr lag der Preis noch bei knapp 210 Euro.