Es ist der größte Zinsschritt seit fast 30 Jahren: Zur Bekämpfung der hohen Inflationsrate erhöht die US-Notenbank ihren Leitzins stark um 0,75 Prozentpunkte. Damit liegt er nun in der Spanne von 1,5 bis 1,75 Prozent, wie die Federal Reserve (Fed) am Mittwoch mitteilte. Es ist die dritte Erhöhung des Leitzinses seit dem Beginn der Coronavirus-Pandemie - und der erste Anstieg um 0,75 Prozentpunkte seit 1994.
Für gewöhnlich zieht es die Fed vor, den Leitzins in Schritten von 0,25 Prozentpunkten anzuheben. Manche Analysten hatten aufgrund jüngster Daten zur anhaltend hohen Teuerungsrate in den vergangenen Tagen aber bereits gemutmaßt, dass die Fed die Märkte mit einer Erhöhung um 0,75 Prozentpunkte überraschen könnte. Im März rechneten die Entscheider der Fed zum Jahresende im Mittel noch mit einem Leitzins von 1,9 Prozent. Nun gehen sie von 3,4 Prozent in diesem Jahr und sogar 3,8 Prozent im kommenden Jahr aus.
Wirtschaft wächst langsamer
Die Fed sagt außerdem in diesem Jahr ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum als noch vor drei Monaten angenommen voraus. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der weltgrößten Volkswirtschaft soll demnach um 1,7 Prozent wachsen. Das wären 1,1 Prozentpunkte weniger als noch im März prognostiziert. Die US-Notenbank rechnet im laufenden Jahr auch mit einer höheren Inflationsrate als zuvor angenommen. Die Teuerungsrate soll trotz der geplanten Erhöhungen des Leitzinses 2022 durchschnittlich bei 5,2 Prozent liegen.
Der Druck auf die Notenbank ist derzeit groß: Die Teuerungsrate ist so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert; die Menschen können sich bei gleichem Einkommen weniger leisten. Die Fed setzt zur Eindämmung der Inflation, die im Mai in den USA auf 8,6 Prozent gesprungen war, auf Erhöhungen des Leitzinses. Dadurch verteuern sich Kredite, was die Nachfrage ausbremst. Das hilft dabei, die Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum.
Der Balanceakt
Für die Notenbank ist es daher ein Balanceakt: Sie will die Zinsen so stark anheben, dass die Inflation ausgebremst wird - ohne dabei gleichzeitig Konjunktur und Arbeitsmarkt abzuwürgen und eine Rezession auszulösen. An den Börsen herrschte vor der Fed-Sitzung Nervosität; Investoren befürchten eine Konjunkturdelle.
Wegen der Corona-Krise hatte die Fed ihren Leitzins auf nahe Null gesenkt und Konjunktur und Finanzmärkte mit umfangreichen Notprogrammen gestützt. Die gestiegene Inflationsrate bezeichnete die Fed im vergangenen Jahr noch zumeist als "vorübergehenden" Effekt infolge der Pandemie. Gegen Jahresende leitete sie jedoch die Abkehr von ihrer ultralockeren Geldpolitik ein. Im März erhöhte sie den Leitzins erstmals seit der Pandemie um 0,25 Prozentpunkte. Im Mai folgte angesichts der hohen Inflationsrate ein Anstieg um 0,5 Prozentpunkte, das war die stärkste Anhebung seit 22 Jahren.
Vor der Sitzung vom Mittwoch hatten die Entscheider der Fed klar signalisiert, dass erneut mit einem Anstieg um 0,5 Prozentpunkte zu rechnen ist. Daten aus der vergangenen Woche zeigten jedoch, dass die Verbraucherpreise im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat um 8,6 Prozent gestiegen waren. Das war der höchste Wert seit 1981. Zudem deuteten neue Erhebungen darauf hin, dass Verbraucher auch künftig mit weiter steigenden Preisen rechnen.
Weitere Erhöhungen kommen
Die Daten haben den Druck auf die Fed erhöht, weil die von ihr mittelfristig gewünschte Inflationsrate von zwei Prozent damit in immer weitere Ferne rückt. Mit der Anhebung des Leitzins um 0,75 Prozentpunkte hat die Fed die Märkte überrascht, was die Zentralbanker meist vermeiden. Auf der anderen Seite sendet die Notenbank nun ein klares Signal, dass sie den rasanten Anstieg der Preise bremsen will. Die Währungshüter kündigten an, dass es heuer zu weiteren Zinserhöhungen kommen wird; der Leitzins soll demnach zum Jahresende im Schnitt bei 3,4 Prozent liegen.
Eine Herausforderung für die Fed ist es, dass sie manche Ursachen der Preissteigerungen nur begrenzt beeinflussen kann. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten und steigende Energiepreise reagieren nicht direkt auf den US-Leitzins. Auch die Folgen des Kriegs in der Ukraine und der Corona-Lockdowns in China kann die Fed nicht kontrollieren.
Die hohe Teuerungsrate sorgt indes auch im Weißen Haus für Kummer: Viele Wähler machen Präsident Joe Bidens Regierung dafür verantwortlich. Grob gesagt: Je höher die Preise, desto mehr fallen Bidens Umfragewerte. Das macht dem Präsidenten und seinen Demokraten zu schaffen, denn sie bemühen sich bei der Kongresswahl im November, ihre knappen Mehrheiten in beiden Parlamentskammern zu verteidigen.
Wertpapierkäufe schon länger eingestellt
Die Fed hat ihre Geldpolitik bereits gestrafft, nach Meinung vieler Analysten allerdings zu spät damit begonnen. Heuer wurde der Zins zweimal um insgesamt 0,75 Prozentpunkte angehoben. Der Leitzins liegt aktuell in einer Spanne von 0,75 bis 1,0 Prozent. Ihre Wertpapierkäufe haben die Währungshüter schon seit Längerem eingestellt und auch damit begonnen, ihre aufgeblähte Bilanz schrittweise zurückzuführen.