Die Regierung hat vor dem Hintergrund der enormen Teuerung ein neues Entlastungspaket in Aussicht gestellt. Was erwartet sich Industrie in diesem Zusammenhang?
GEORG KNILL: Wir erwarten uns treffsichere und kostendämpfende Maßnahmen, die diejenigen entlasten, die am schwersten betroffen sind und kein Geldverteilen mit der Gießkanne – das würde die Inflationsentwicklung weiter anheizen. Daher haben wir einige Punkte vorgeschlagen, welche zum einen punktuell entlasten, wie beispielsweise die Strompreiskompensation und anderseits die Kaufkraft erhöhen, wie eine steuerfreie Prämie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, ähnlich der Coronaprämie.
Auch viele Wirtschaftsvertreter rufen laut nach Preisdeckel oder temporären Steuersenkungen auf Energie, etwa bei der Mineralölsteuer. Wie stehen Sie dazu?
Ein großer Freund davon bin ich nicht. Der Effekt ist überschaubar, bei diesen Volatilitäten an der Tankstelle geht so eine Senkung auch in der persönlichen Wahrnehmung sehr schnell unter. Aber man sollte intensiv über Möglichkeiten und Maßnahmen nachdenken.
Das EU-Parlament hat sich für ein Aus für Verbrenner im Neuwagenverkauf ab 2035 ausgesprochen, wäre das für die österreichische Fahrzeugzulieferindustrie bewältigbar?
Das Votum des EU-Parlaments stellt die österreichische Fahrzeugindustrie vor enorme Herausforderungen. Uns muss bewusst sein, dass es mit der bloßen Zielsetzung nicht getan ist. Denn nur ein Verbot zu verhängen alleine, ist zu wenig ...
Was braucht es zusätzlich?
Die geplante Umstellung muss mit einem Ausbau der Infrastruktur und einer sicheren und stabilen Energieversorgung einhergehen. Darüber hinaus müssen die Auswirkungen für die Zulieferindustrie mitbedacht werden, hier wird es Unterstützungen zum Umstieg brauchen. Darum haben diverse Branchenverbände im Vorfeld vorgeschlagen, vorerst im Jahr 2028 den Ist-Zustand, also den Ausbau der Ladeinfrastruktur, den Stand der Technologien zu analysieren, bevor man Langfristziele nach 2030 gesetzt werden.
Die CO₂-Bepreisung in Österreich wird nicht wie geplant im Juli, sondern erst im Oktober kommen. Eine richtige Entscheidung oder läuft man damit Gefahr, dass das letztendlich auf Sankt Nimmerlein verschoben wird?
Dazu muss man wissen, dass im Rahmen des nationalen Emissionshandelsgesetzes, in dem die CO₂-Bepreisung geregelt ist, etliche legistische Richtlinien fehlen. Solange diese Details nicht geklärt sind, bleibt der Bundesregierung gar nichts anderes übrig, als den Start zu verschieben. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, Energieträger in einer Zeit, in der die Inflation das zentrale Thema ist, noch einmal zu verteuern – um diese Kosten dann auf der anderen Seite durch Entlastungspakete wieder auszugleichen.
Ist es sinnvoll?
Das müssen andere beantworten, auf politischer Ebene.
Die Industriellenvereinigung wurde jüngst von NGOs aufgefordert, ihre "energiepolitische Geisterfahrt" zu beenden, es wurde Ihnen mit Hinweis auf einen internen Spickzettel vorgeworfen, Klimagesetze zu blockieren.
Dieser ominöse, sogenannte Spickzettel ist eine Executive Summary für unsere Mitglieder, wo fünf zentrale Punkte zu Energiefragen aufgelistet sind, von der Forderung der Strompreiskompensation bis hin zum Masterplan Energie. Es gibt auch die Forderung, jene Klimaschutzgesetze, die jetzt in Vorbereitung sind, zu verschieben – eine Art Moratorium, weil sich aufgrund des Krieges die Situation fundamental geändert hat.
Hadern Sie mit dem Vorwurf, hier Blockierer zu sein?
Es werden da gerne alte Klischees bedient, die mit der Realität nichts zu tun haben. Es ist die Industrie, die mit allen möglichen Technologien die Transformation vorantreibt. Es ist wichtig und notwendig, dass über realistische Szenarien öffentlich debattiert wird und man den Menschen auch reinen Wein einschenkt.
Inwiefern?
Wir wollen nicht verhindern, wir tragen zur Einhaltung der Klimaschutzziele bei, ohne dabei aber die Versorgungssicherheit, die Wettbewerbsfähigkeit und soziale Aspekte aus den Augen zu verlieren. Das ist für uns nachhaltige Klimapolitik. Mehr denn je brauchen wir darüber eine ehrliche Diskussion.
Polen, Bulgarien, Finnland, die Niederlande, Dänemark – die Liste der Länder, die nicht mehr mit russischem Gas beliefert werden, wird länger. Steigert das auch die Sorgen in Österreichs Industrie?
Russlands Präsident Putin operiert bewusst mit diesen Schreckszenarien. Das ist natürlich keine beruhigende Entwicklung. Die Kurzfristmaßnahmen der Bundesregierung rund um Einlagerungen und dem Gesetz, um die Speicher zu füllen, verschaffen zwar eine gewisse Sicherheit, aber keine Perspektive. Wir sprechen hier von maximal fünf Monaten, das ist für die Industrie unzureichend und bietet nicht die Planungssicherheit, die Unternehmen dringend brauchen.
Kann ein Ausstieg aus russischem Gas gelingen?
Kurzfristig leider nicht. Ein Komplettausstieg würde unserer Einschätzung nach acht bis zehn Jahre dauern.
Die EU will es aber bis 2027 schaffen.
In dieser Planrechnung sehen wir leider sehr viel Zweckoptimismus. Selbst wenn es in fünf Jahren ginge, stellt sich die Frage, was im Falle eines Lieferstopps bis dahin geschieht. Das ist völlig unklar. Das ist ein komplexes Thema, das ist uns bewusst, aber es ist sehr sensibel und dafür braucht es politisches Leadership, bei dem mit Fakten gearbeitet wird.