Experten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel raten statt eines kompletten Lieferstopps zu einem Importzoll auf russische Energie, um Druck auf Moskau auszuüben. "Die Argumente für einen Zoll sind stärker denn je", sagte der Wissenschaftler Simone Tagliapietra der Deutschen Presse-Agentur. "Russlands Entscheidung, Gaslieferungen an Polen und Bulgarien abzustellen, stellt eine ernsthafte Eskalation dar, auf die Europa geschlossen und entschieden reagieren sollte."
Er und andere Experten von Bruegel veröffentlichten am Donnerstag einen Brief in der Wissenschaftszeitschrift "Science", in dem sie erklären, wie Zölle als Druckmittel auf Russland funktionieren könnten.
75 Prozent der Gas-Exporte an die EU
Bruegel schätzt, dass Russland pro Tag etwa eine Milliarde Dollar (950.000 Euro) an Energie-Exporten verdient. Bei Gas gehen demnach etwa 75 Prozent der Exporte an die EU, bei Öl etwa 50 Prozent. Den Experten zufolge kann Russland seine Exporte nicht ohne Weiteres an andere Handelspartner etwa in Asien verkaufen, da sie unter anderem durch feste Pipelines geliefert werden. "Die EU hat also eine echte Chance, sicherzustellen, dass die Zolleinnahmen größtenteils von Russland bezahlt werden", schrieben die Experten. Um ihre Position zu verbessern, sollte die EU zudem alternative Öl- und Gasquellen suchen.
Von sofortigem Lieferstopp stark betroffen
Mit einem Zoll könnte man dem Brief zufolge Russlands Profite verringern und gleichzeitig weiterhin Gas und Öl aus dem Land beziehen, um die Risiken für die europäische Wirtschaft zu reduzieren. Besonders Deutschland ist von russischem Gas abhängig und wäre von einem sofortigen Lieferstopp stark betroffen. Wegen der Spannungen mit Polen und Bulgarien seien die Gaspreise bereits gestiegen – und damit auch Putins Profite, sagte Tagliapietra. Europa sollte in Bezug auf Zölle schnell vorankommen und keine Angst haben, dass Russland mit einem Lieferstopp reagiere. "Das könnte in jedem Fall passieren."