Die US-Wirtschaft hat zu Jahresbeginn überraschend eine Talfahrt hingelegt. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) fiel im ersten Quartal aufs Jahr hochgerechnet um 1,4 Prozent, wie das Handelsministerium am Donnerstag auf Basis einer ersten Schätzung mitteilte. Experten wurden auf dem falschen Fuß erwischt, denn sie hatten mit einem Zuwachs von 1,1 Prozent gerechnet.
Sie werteten die Daten jedoch nicht als Anzeichen, dass der US-Wachstumsmotor in Zeiten der von der Notenbank Fed eingeleiteten Straffung der Zinspolitik ausgehe. Die frischen BIP-Daten seien zwar "vordergründig besorgniserregend", erläuterte LBBW-Ökonom Dirk Chlench. Der Konjunkturdurchhänger sei jedoch ausschließlich auf Belastungen vom Außenhandel sowie geringere Lagerinvestitionen zurückzuführen. Allerdings legte der private Konsum zu und die Unternehmen investierten deutlich mehr. "Kurzfristig sind die Rezessionsgefahren daher gering. Nächstes Jahr dürften die Risiken aber zunehmen", sagte Volkswirt Christoph Balz von der Commerzbank.
"Von technischen Faktoren beeinflusst"
US-Präsident Joe Biden erklärte in Washington, die Wachstumsschätzung für das vergangene Quartal sei "von technischen Faktoren beeinflusst". Insgesamt begegneten die Vereinigten Staaten den aktuellen Herausforderungen durch die Pandemie, den Ukraine-Krieg und die globale Inflation "aus einer Position der Stärke". Die US-Wirtschaft zeige sich angesichts dieser historischen Herausforderungen widerstandsfähig. Das gelte etwa für den Arbeitsmarkt.
Im Vorjahr sattes Plus von 6,9 Prozent
Ende 2021 war noch ein sattes Plus beim BIP von 6,9 herausgesprungen – auch weil viele Betriebe ihre in der Pandemie geleerten Lagerbestände wieder kräftig auffüllten. Dies taten sie zu Jahresbeginn nicht mehr in gleichem Maße. Zudem schrumpften die Exporte im ersten Quartal um 5,9 Prozent, nachdem sie Ende 2021 noch um 22,4 Prozent zugelegt hatten. Die Verbraucher steigerten ihren Konsum allerdings um 2,7 Prozent und zeigten sich damit etwas ausgabefreudiger als Ende vorigen Jahres. Auch die Investitionen der Firmen zogen mit 9,2 Prozent stärker an als im Vorquartal mit seinerzeit plus 2,9 Prozent.
US-Wirtschaft weiter "sehr, sehr stark"
Ein Regierungsvertreter hatte Reuters vor Veröffentlichung der BIP-Daten hinter vorgehaltener Hand gesagt, die US-Wirtschaft sei weiter "sehr, sehr stark", auch wenn die Lagerbestände nicht mehr so kräftig aufgefüllt würden wie Ende 2021. Es gebe keine Hinweise darauf, dass sich die Konjunktur in die falsche Richtung bewege. "Gerade, weil der private Konsum und die Investitionen zulegen, hat der Rückgang des BIP für die US-Notenbank keine Konsequenzen", meint Chefökonom Thomas Gitzel von der Liechtensteiner VP Bank. Der Kurs sei festgezurrt: "Die US-Währungshüter haben der Inflation den Kampf angesagt. Schon in der kommenden Woche wird die Fed die nächsten beiden Raketenstufen zünden."
Weitere Zinserhöhung nächste Woche erwartet
An den Finanzmärkten wird für nächsten Mittwoch mit einer Anhebung des geldpolitischen Schlüsselsatzes um einen halben Punkt gerechnet – der größte Zinssprung seit über 20 Jahren. Als üblich gelten Erhöhungsstufen um jeweils einen Viertelpunkt. Die Fed reagiert mit der bereits Mitte März eingeleiteten Zinswende auf die rasant steigenden Preise im Land. Die US-Teuerungsrate war im März mit 8,5 Prozent auf den höchsten Stand seit über 40 Jahren gestiegen, was die Kaufkraft der Verbraucher schmälert.
Der dadurch bedingte hohe Kaufkraftentzug dürfte nach Ansicht von Ökonom Bastian Hepperle im zweiten Quartal sichtbarer werden: "Hinzu kommen die sich verschärfenden Finanzierungsbedingungen, weil die US-Notenbank die Leitzinsen kräftig erhöhen und ihre Bilanz schrumpfen wird. Die Wachstumsperspektive bleibt getrübt", meint der Fed-Beobachter der Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe.