Die Weltwirtschaft wird einer neuen Prognose zufolge heuer wegen des Kriegs in der Ukraine deutlich langsamer wachsen. Gleichzeitig erwartet der Internationale Währungsfonds (IWF) für 2022 eine höhere Inflationsrate, angetrieben unter anderem von gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen.
"Die Aussichten für die globale Wirtschaft haben einen harten Rückschlag erfahren, größtenteils wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine", erklärte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas am Dienstag.
Globales Wachstum 3,6 Prozent
In seiner neuen Prognose rechnet der IWF in diesem Jahr nur noch mit einem globalen Wachstum von 3,6 Prozent. Das sind um 0,8 Prozentpunkte weniger als noch im Jänner angenommen. Für die Eurozone erwartet der IWF ein um 1,1 Prozentpunkte geringeres Wachstum von 2,8 Prozent. In Deutschland soll das Bruttoinlandsprodukt (BIP) demnach nur noch um 2,1 Prozent wachsen – eine Herabstufung der Prognose vom Jänner um satte 1,7 Prozentpunkte.
Coronalockdowns verschärften Krise
"Diese Krise passiert, obwohl sich die globale Wirtschaft noch nicht völlig von der Pandemie erholt hat", sagte Gourinchas. Viele Staaten hätten mit hoher Inflation zu kämpfen, weswegen eine Straffung der Geldpolitik bevorstehe. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten hielten an – wobei jüngste Coronalockdowns in China diese Probleme erneut verschärfen könnten.
Der IWF hatte seine globale Wachstumsprognose bereits im Jänner infolge der Omikron-Welle der Corona-Pandemie um 0,5 Prozentpunkte auf 4,4 Prozent gesenkt. "Gerade als eine dauerhafte Erholung von der Pandemie in Sicht war, brach der Krieg aus und machte jüngste Fortschritte potenziell zunichte", erläuterte Gourinchas in einem Blog-Eintrag zu der neuen Wirtschaftsprognose.
Schlechtere Aussichten für Russland und EU
Die jüngste Senkung der globalen Konjunkturprognose um 0,8 Prozentpunkte geht demnach vor allem auf die schlechteren Aussichten für Russland und die Europäische Union zurück. Russland steht infolge der harten westlichen Sanktionen vor einer tiefen Rezession, was rund 0,3 Prozentpunkte der Herabstufung ausmacht. Weitere rund 0,2 Prozentpunkte gehen auf die trüberen Aussichten in Europa zurück "wegen der indirekten Effekte des Kriegs". Positivere Aussichten haben angesichts steigender Preise 2022 derzeit nur die Volkswirtschaften großer Rohstoffexporteure, so der IWF.
Ungewöhnlich hohe Unsicherheit
Die neue Wirtschaftsprognose ist dem IWF zufolge mit ungewöhnlich hoher Unsicherheit verbunden. "Das Wachstum könnte sich weiter verlangsamen, während die Inflation unsere Prognosen übertreffen könnte – zum Beispiel, falls Sanktionen auf Russlands Energieexporte ausgeweitet werden", erklärte Gourinchas. Auch könnten gefährliche Varianten des Coronavirus, die den Impfschutz aushebelten, zu Lockdowns und Produktionsverzerrungen führen.
5,7 Prozent Inflation
Die Inflationsrate soll vor allem wegen des Kriegs länger als zuletzt angenommen hoch bleiben. Heuer rechnet der IWF in den Industriestaaten mit einer Teuerungsrate von 5,7 Prozent, also um 1,8 Prozentpunkte mehr als noch im Jänner angenommen. In Schwellen- und Entwicklungsländern soll die Inflationsrate im Durchschnitt 8,7 Prozent betragen, ein Plus von 2,8 Prozentpunkten.
Rohstoffe treiben die Preise
Ein wichtiger Treiber der Teuerungsrate sind die Rohstoffpreise. "Russland ist ein wichtiger Lieferant von Öl, Gas und Metallen und – zusammen mit der Ukraine – von Weizen und Mais. Ein geringeres Angebot dieser Rohstoffe hat ihre Preise scharf nach oben getrieben", erklärte Gourinchas. Der Anstieg der Benzin- und Lebensmittelpreise werde weltweit vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen treffen, machte der IWF klar. Die Preissteigerungen "könnten auch die Wahrscheinlichkeit sozialer Unruhen in ärmeren Ländern deutlich erhöhen", hieß es weiter. Hilfsorganisationen warnen, dass vor allem Länder im Nahen Osten und in Afrika stark betroffen sein könnten.
Russische Wirtschaft bricht ein
Die russische Wirtschaft dürfte der IWF-Prognose zufolge dieses Jahr um 8,5 Prozent einbrechen, eine Herabstufung um 11,3 Prozentpunkte gegenüber dem Jänner. Andere Prognosen, etwas jene der Weltbank, rechnen sogar mit einer noch etwas stärkeren Rezession. Für die Ukraine rechnet der IWF mit einer dramatischen Rezession; die Wirtschaft soll wegen des Kriegs um 35 Prozent schrumpfen. Konjunkturprognosen für die Ukraine sind angesichts der andauernden Kämpfe allerdings mit besonders hoher Unsicherheit verbunden.