Die Geschichte vom „steirischen Wasserwunder“ wurde bereits oft erzählt, aber im Ringen um mehr Unabhängigkeit von russischem Gas rückt sie wieder ins Gedächtnis. Der denkwürdige Tag war der 10. Juli 1972, als in Neubrennten im Gemeindegebiet Loipersdorf ein schwerer Bohrturm umkippte und eine Fontäne aus dem Boden schoss. Öl? Nein, besser.
Auf der Suche nach Gas bzw. Öl war die RAG (Rohöl-Aufsuchungs AG) an der Bohrstelle „Binderberg 1“ in 1100 Metern Tiefe auf 62 Grad heißes Wasser mit hoher Mineralisierung gestoßen – auf jenes Thermalwasser, das ab 1981 die Therme Loipersdorf speiste, der wiederum eine Reihe weiterer Wohlfühloasen folgten. 1977 stieß die RAG unweit der ersten Bohrstelle erneut auf Thermalwasser.
40 Jahre Suche
Die Hoffnung, in der Steiermark fossile Bodenschätze zu entdecken, währte rund 40 Jahre – zu lang, um dies als Episode abzutun. „Die RAG hat zwischen 1958 und 1999 insgesamt 15 Bohrungen durchgeführt“, berichtet Unternehmenssprecher Stefan Pestl der Kleinen Zeitung. Doch bei keiner einzigen stieß die RAG auf Öl oder Gas.Auch die OMV bohrte, ohne fündig zu werden. Alle Bohrungen wurden rückgebaut oder an Dritte übergeben, so Pestl. Heute sucht die RAG nicht mehr nach Kohlenwasserstoffen, sondern bewirtschaftet die bereits gefundenen Lagerstätten und konzentriert sich auf die Energiespeicherung. Generell ist die Gasförderung in Österreich rückläufig.
Die Energiewende lädt die Funde in der Steiermark vor 50 Jahren aber mit frischem Potenzial auf. Geothermie lautet das Schlagwort, also Erdwärme. Die Frutura in Bad Blumau nützt seit 2016 Thermalwasser aus 3500 Metern Tiefe. Das 125 Grad Celsius heiße Wasser wird an die Oberfläche gepumpt und versorgt 26 Hektar Anbaufläche in Gewächshäusern und Tunnels, in denen Tomaten, Paprika, Gurken, Melanzani und Radieschen wachsen. Danach wird das Wasser wieder in die Tiefe gepumpt; ein klimaschonendes Vorzeigeprojekt. Leider auch einzigartig.
Die Nutzung von Geothermie ist noch eine Nische, betont Gregor Götzl, Sprecher der Geothermie Österreich (GTÖ). Der Grund sind ein geringer Kenntnisstand über Technologien und Lösungen (obwohl die Geschichte der Nutzung bis in die Antike reicht) und hohe Investitionen. Wachsend sei derzeit der Einsatz der oberflächlichen Erdwärme, um Wohnhäuser und Bürogebäude zu heizen oder zu kühlen: „Das geht überall, ausgenommen in Schutzgebieten“, so Götzl. Nötig dafür ist eine Wärmepumpe, die Nachfrage sei nicht zuletzt durch den Ukrainekrieg gestiegen, sodass es zu Wartezeiten kam.
Die Dimension ist aber auch hier sehr überschaubar, österreichweit geht Götzl von 100.000 Anwendungen aus (1,6 Prozent Anteil an den installierten erneuerbaren Energien für Heizzwecke). Die ebenfalls mögliche Stromerzeugung aus Geothermie ist noch seltener.
Im Gegensatz zum privaten Heizen bedeutet die betriebliche Nutzung wie bei der Frutura Aufwand. Zumindest braucht es dafür Thermalwasser aus großer Tiefe. „Geothermie-Projekte haben eine Vorlaufzeit von drei bis fünf Jahren“, sagt Götzl. Und: Für Einsätze im Hochtemperaturbereich der Industrie ist Geothermie keine Alternative.
Erdwärme liegt größtenteils brach
Dennoch soll Erdwärme künftig dazu beitragen, die Abhängigkeit von Erdgas und von Energieimporten zu reduzieren. Immerhin geht mehr als 50 Prozent des österreichischen Energiebedarfs fürs Heizen und Kühlen drauf. „Die natürliche Wärme im Inneren der Erde steht uns überall zur Verfügung, wir müssen sie nur nutzen“, betont Peter Seifert, Obmann der GTÖ.
Das heimische Potenzial sei aktuell zu 95 Prozent ungenutzt. Höhere Investitionskosten würden durch geringe und stabile Betriebskosten sowie durch die Langlebigkeit geothermischer Anlagen ausgeglichen. Seifert: „Mittelfristig kann Geothermie eine Milliarde Kubikmeter Erdgas ersetzen und somit 12 Prozent des österreichischen Gasverbrauches kompensieren.“
Im März präsentierte das Klimaschutzministerium die erste „Forschungs-Roadmap“ für einen verstärkten Geothermie-Einsatz in Österreich. Eine der Forderungen der GTÖ dazu: Die geologischen Erkundungsdaten aus über 70 Jahren Erdöl- und Erdgaserkundung müssen leichter zugänglich werden.