Die EU will künftig riesige Mengen an Flüssiggas (LNG) aus den USA beziehen, um die Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland zu reduzieren. Ein Deal zwischen US-Präsident Joe Biden und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht vor, dass die EU allein in diesem Jahr zusätzlich 15 Milliarden Kubikmeter LNG kauft. Langfristig soll die Menge sogar auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr steigen. Damit könnte nach Kommissionsangaben etwa ein Drittel der derzeitigen Gasimporte aus Russland ersetzt werden. In diesem Jahr soll es immerhin bereits ein Zehntel der Importe decken.
Die drei Buchstaben "LNG" sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine allgegenwärtig. Das Kürzel steht für "Liquified Natural Gas", übersetzt "verflüssigtes Erdgas". LNG soll eine wichtige Rolle spielen, um die Abhängigkeit von russischem Erdgas zu reduzieren. Sowohl hinsichtlich des Transports als auch der dahinterliegenden Logistik sind damit freilich nicht unwesentliche Herausforderungen verbunden.
Das Gas wird auf minus 162 Grad heruntergekühlt und wird so zu einer klaren und geruchlosen Flüssigkeit. Der große Vorteil: Bei dieser Temperatur reduziert sich das Volumen um den Faktor 600. So schrumpfen also 600 Kubikmeter normales Erdgas auf einen Kubikmeter flüssiges Erdgas. Auf dieser tiefen Temperatur gehalten, kann LNG auf speziellen Tankschiffen transportiert werden. Der Nachteil: Bevor es ins Leitungsnetz eingespeist werden kann, muss es "regasifiziert", also vom flüssigen wieder in den gasförmigen Zustand gebracht werden.
Exportgrößen: Katar, Australien und die USA
Dafür sind eigene Terminals nötig, davon gibt es derzeit 37 in Europa (keiner davon in Deutschland oder Österreich). Knapp 30 weitere sind europaweit in Planung. Für eine gänzliche Unabhängigkeit von russischem Gas reichen derzeit weder Infrastruktur noch LNG-Kapazitäten aus. Die größten Exportländer sind Katar, Australien und die USA. Ägypten und Westafrika können weitere Bezugsquellen für Europa sein. Laut EU-Plänen könnten pro Jahr bis zu 50 Milliarden Kubikmeter LNG importiert werden. Nur zum Vergleich: Die russischen Gasexporte via Pipelines in die EU lagen zuletzt bei 155 Milliarden Kubikmeter.
Technologisch und auch optisch bemerkenswert sind jedenfalls jene riesigen Tanker, die LNG über die Weltmeere transportieren. Die größten Exemplare sind bis zu 350 Meter lang, 50 Meter breit und fassen in ihren meist "bauchigen" Tanks mehr als 250.000 Kubikmeter LNG, die dann – Stichwort Faktor 600 – in 150 Millionen Kubikmeter Erdgas umgewandelt werden. Zum Vergleich: Der Jahresgasverbrauch in Österreich lag 2021 laut E-Control bei 8,5 Milliarden Kubikmeter, das würde rund 57 vollen Ladungen mit den größten verfügbaren LNG-Tankern nur für Österreich entsprechen.
Weltweit sind 667 LNG-Tanker unterwegs
Doch wie viele dieser Schiffe gibt es überhaupt? Ende des Vorjahres waren weltweit 667 LNG-Tanker unterwegs, rund 150 weitere sollen bis 2025 folgen. Das wichtigste Land für den Bau der Tanker, die im Schnitt fast 200 Millionen US-Dollar kosten, ist mit Abstand Südkorea. Katar hat beispielsweise erst im Vorjahr mehr als 100 neue Tanker von den südkoreanischen Werften Daewoo, Hyundai Heavy Industries Co. und Samsung bis 2027 geordert. Gesamtpreis: Rund 19 Milliarden US-Dollar.
Die allererste LNG-Ladung, damals waren es vergleichsweise bescheidene 5000 Kubikmeter, wurde übrigens Ende Jänner 1959 von dem umgebauten Tanker "MV Methane Pioneer" (später in "Aristotle" umgetauft) transportiert. Der Weg führte vom Golf des US-Bundesstaats Louisiana über den Atlantik nach Großbritannien.