Noch wurde in die neue Konjunkturprognose das Szenario von Öl- und Gas-Lieferstopps aus Russland gar nicht einbezogen. Aber die Ökonomen von Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo und IHS (Institut für Höhere Studien) sind sich da völlig einig: Die Auswirkungen auf Österreichs Wirtschaft wären extrem.

Nicht klar ist, wie tief eine dadurch verursachte Rezession ausfallen könnte. "Zwei, drei, vier Prozent", sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr, räumt aber gleich ein, kaum seriöse Berechnungen anstellen zu können. "Wir können zwar Preisschocks modellieren", so Felbermayr, "aber ein Totalausfall lässt sich ganz schwer modellieren."

Deshalb steht Felbermayr auch hinter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), der beim gestrigen EU-Gipfel genau wie der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärt hatte, man werde bei einem Öl- und Gas-Embargo Russlands nicht mitziehen. "Das kann man nachvollziehen", so der Wifo-Chef. Alles andere könnte die Stabilität der Anti-Putin-Koalition innerhalb der EU untergraben. Denn es gebe innerhalb Europas einfach extrem unterschiedliche Betroffenheiten bei einem Embargo. "Es wurde zu Recht betont, dass wir uns nicht auseinander dividieren lassen dürfen." Gas müsse das Allerletzte sein, was sanktioniert werde.

Eine Folge fehlender Gaslieferungen könnten extreme globale Wettbewerbsverzerrungen sein. Wer in Österreich nicht mehr produzieren kann, weicht möglicherweise in andere Erdteile aus. "Kriegen wir kein günstiges russisches Gas mehr, sind ganze Industriezweige infrage gestellt", sagt Felbermayr. Ein Beispiel sei etwa die stark betroffene Kunststoffindustrie in Oberösterreich. Der Gaspreis in den USA liegt derzeit nur bei einem Viertel oder Fünftel des Preises in Europa.

Krieg: Vertrauen der Konsumenten sinkt bei Zuspitzung

Spitze sich der Krieg noch weiter zu, dürfte auch das Vertrauen der Konsumenten noch tiefere Risse bekommen. Auf deren wiederkehrende Konsumfreudigkeit und die Stärke der Industrie hatten zuletzt die sehr optimistischen Konjukturprognosen gefußt. "Jetzt sind Industrie und Konsum betroffen", erklärt Helmut Hofer vom IHS. Positiv beurteilt Hofer die in der Pandemie aufgebauten Sparpolster.

Die Industrie ist jetzt bereits schon so schwer betroffen, dass sie im zweiten und dritten Quartal in die Rezession rutscht, ihre Wertschöpfung also sinkt. In der Pandemie hatte sich die Industrie als besonders starke Säule erwiesen. Auch das erste Quartal war laut Wifo noch so gut, dass sich zum Jahresende ein Nullwachstum ausgehen könnte. Klaus Weyerstrass vom IHS: "Die Lieferketten sind nach wie vor gestört, das wird durch die Krise noch weiter verstärkt."

In Summe wurden die Prognosen für heuer sehr kräftig zusammengestutzt: 3,9 Prozent Wachstum erwartet das Wifo, 3,6 Prozent das IHS. "Das klingt übertrieben optimistisch, ist aber alles andere", betont Felbermayr. "In einer normalen Situation ohne Corona-Sondereffekte würde uns eine solche Rücknahme an den Rand einer Rezession bringen." Im Dezember war vom Wifo für heuer ein Plus von 5,2 Prozent prognostiziert worden, vom IHS um 4,2 Prozent. Dass die Rücknahmen nicht noch radikaler ausfallen, liegt am Aufholpotenzial des heimischen Tourismus, der sich zwar immer noch nicht auf das Vorkrisenniveau erholen wird, aber dennoch deutlich wachsen dürfte. 

In der Prognose mit viel Schatten gebe es auch ein wenig Licht, weil man mit "Rekordbeschäftigung" in die Krise hineingehe, erklärt Felbermayr. Aber die Kurzarbeit werde wohl zunehmen. Bei den Unterstützungen für Ärmere müsse wohl noch einmal nachgelegt werden.

Denn die hohe Inflation, die heuer phasenweise auf sieben Prozent steige und im Gesamtjahr zwischen 5,5 und 5,8 Prozent liegen dürfte, führt schon jetzt zu deutlichen Verlusten bei den Reallöhnen. Bei den Brutto-Reallöhnen konstatiert das Wifo mit Minus 2,3 Prozent den stärksten Rückgang, seit die Statistik geführt wird, bei den Reallöhnen beträgt das Minus 1,1 Prozent, weil hier die Entlastungen der Steuerreform wirken. Für die Lohnverhandlungen extrem schwierige Voraussetzungen. Sowohl das IHS als auch das Wifo halten es für sinnvoll, nicht den Verbraucherpreisindex für die Lohnrunden heranzuziehen, sondern den BIP-Preisdeflator, bei dem die importierte Inflation herausgerechnet sei. "Der Krieg macht uns alle ärmer", so Felbermayr. "Wir können die Lasten nur fair verteilen."