Knapp einen Monat nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin im Westen mit einem Schachzug für neue Unruhe gesorgt. Seine Ankündigung, für Gaslieferungen aus Russland müssten "unfreundliche Staaten" wie Österreich und die übrigen EU-Mitglieder in Rubel bezahlen, verschärft Ängste vor einer Krise am Energiemarkt.
Was bezweckt Putin mit der Rubel-Pflicht?
Die Abkehr von Fremdwährungen soll in erster Linie den Rubel stärken, dessen Kurs nach Russlands Einmarsch in die Ukraine abgestürzt ist. Und tatsächlich legte die russische Landeswährung unmittelbar nach Putins Anweisung zu Dollar und Euro kräftig zu. Auch am Donnerstag ist der Kurs des Rubel zum Dollar gestiegen. Am Vormittag kostete ein Dollar rund 96 Rubel, vor der Ankündigung Putins vom Mittwoch waren es noch mehr als 100 Rubel. "Zeit des Rubel", titelte die Moskauer Wirtschaftszeitung "Wedomosti". Kurz vor Kriegsbeginn kostete ein Dollar rund 80 Rubel.
Hinter Putins neuer Rubel-Vorgabe steckt auch politisches Kalkül. Der Kremlchef wolle die EU zwingen, ihre eigenen Sanktionen zu umgehen und weiter mit russischen Finanzinstituten zu interagieren, schrieb nicht nur die russische Tageszeitung "Kommersant". Unabhängig davon prognostiziert das Blatt für die kommenden Monate Zahlungsschwierigkeiten und ein erhöhtes Risiko für eine Unterbrechung der europäischen Gasversorgung.
Wie viel Geld fließt für Öl und Gas aus Europa nach Russland?
Schätzungen der Brüsseler Denkfabrik Bruegel zufolge geben die EU-Staaten derzeit täglich rund 420 Millionen Dollar (380 Millionen Euro) für russisches Gas aus und knapp 400 Millionen Dollar für Öl aus Russland. Dreistellige Millionenbeträge in Euro oder Dollar müssten also allein für Gasimporte in Rubel getauscht werden, um Lieferungen zu bezahlen.
Lässt sich das bewerkstelligen?
Fachleute sind unsicher. Kerstin Hottner, Rohstoffexpertin bei der Schweizer Bank Vontobel, verwies darauf, dass etwa 60 Prozent der russischen Gaslieferungen in Euro und 40 Prozent in Dollar bezahlt werden. Die Frage sei, ob es überhaupt möglich wäre, für die teils langfristigen Lieferverträge kurzfristig die Währung zu ändern. Und ob Gasimporteure ihre Währungen in Rubel tauschen könnten, denn viele russische Banken und auch die Zentralbank stehen unter Sanktionen.
Ob die Liquidität am Rubelmarkt reiche, um alle Gasrechnungen in der russischen Währung zu begleichen, sei schwer zu sagen, meint Ralf Umlauf von der Landesbank Hessen-Thüringen. Jedoch könne die russische Notenbank theoretisch unbegrenzt Rubel drucken und an Gas-Käuferländer gegen Devisen geben, fraglich sei der Umtauschkurs.
Wie reagiert Österreich auf Putins Schritt?
Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat auf die Ankündigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Gas künftig in Rubel abrechnen zu lassen, zurückhaltend reagiert. "Es ist auf jeden Fall ein neues Spielfeld eröffnet, die Frage wird sein, müssen wir uns auf dieses begeben oder nicht", sagte Nehammer am Donnerstag vor dem EU-Gipfel. Klar sei für Österreich, russisches Gas spiele eine "zentrale Rolle" und in "erster Linie müsse die Versorgung der Menschen" sichergestellt werden.
Anderseits bestehe seitens Moskau "im höchsten Maße" darin Interesse, dass die Geldmittel weiter fließen, betonte Nehammer in Brüssel. Daher brauche es Zeit, um die Lage und die Auswirkungen zu beurteilen. Seiner Ansicht nach müsse eine "konstruktive Lösung im europäischen Rahmen" gefunden werden. Neben Österreich seien etwa auch Deutschland, Tschechien und Bulgarien vom russischen Gas in der Frage der Versorgungssicherheit betroffen, fügte Nehammer hinzu.
Nehammer verwies auch darauf, dass sich Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) derzeit in Paris mit Amtskollegen zu den Themen der Versorgungssicherheit und Energie-Abhängigkeit berate. Auf der anderen Seite beurteile die OMV gerade ihre Verträge, diese seien in Euro und Dollar, und nicht in Rubel abgeschlossen – daher gebe es auch ein "vertragsrechtliches Thema", so der Bundeskanzler.
Müssen die Gegner Moskaus nun Sanktionen umgehen?
Putin hat Europa in eine Zwangslage gebracht. Der Westen unterliefe seine eigenen Sanktionen, wenn er sich Rubel bei Russlands Zentralbank besorge, um Gazprom für Lieferungen zu bezahlen, sagt Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Putin mache einen Vertragsbruch und "testet jetzt, ob wir da mitgehen", so der Ökonom. Dieses Spielchen könne der Westen nicht ernsthaft mitmachen.
Putins Schritt dürfte ein Versuch sein, die EU zu zwingen, ihre Sanktionen zu unterlaufen, meinen auch Analysten der Dekabank. Westliche Länder haben im Ausland lagernde russische Devisenreserven weitgehend blockiert. Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leuchtmann betont aber, dass nicht alle russischen Banken vom Kommunikationsnetzwerk Swift ausgeschlossen sind. Der Kauf von Rubel, um Gasrechnungen zu bezahlen, sei durchaus möglich. Jedoch könnten die Preise steigen, wenn Verträge auf Rubel umgeschrieben würden. "Europäische Importeure, die mittels längerfristiger Lieferverträge bisher vor dem Anstieg der Gaspreise geschützt waren, könnten sich verschlechterten Konditionen ausgesetzt sehen", so die Commerzbank.
Wird ein Embargo für russisches Gas nun wahrscheinlicher?
Der Schritt Putins setzt die EU bei ihrem Gipfeltreffen am Donnerstag jedenfalls unter Druck, eine Antwort zu geben. "Ich glaube, dass wir jetzt in einer Situation sind, wo erst mal, wie sagen die Engländer so schön, "Chicken-Race" stattfindet – wer zuerst zuckt, hat verloren", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion Jürgen Trittin dem rbb-Sender Radioeins.
Einen Importstopp für Gas, Öl und Kohle aus Russland sieht die österreichische Regierung bisher skeptisch. Andere EU-Staaten wie Polen sprachen sich dagegen für ein Embargo aus. Die EU-Kommission bereitet sich schon auf einen möglichen Lieferstopp von russischem Gas im kommenden Winter vor. "Wir überprüfen Szenarien für eine teilweise und volle Unterbrechung von Gasflüssen aus Russland nächsten Winter", sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis im EU-Parlament.
Ließe sich Gas aus Russland kurzfristig ersetzen?
Österreich deckt rund 80 Prozent seiner fossilen Gasimporte mit Lieferungen aus Russland. Um die Abhängigkeit künftig zu reduzieren, wird Österreich eine strategische Gasreserve anlegen. Der entsprechende Beschluss soll im Nationalrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit erfolgen. Über Details wurde bis zuletzt verhandelt, jedoch ist schon klar, dass sich die Höhe der Reserve an der im Jänner an Netzbenutzer abgegebenen Gasmenge bemisst. Erstmals soll diese Gasreserve im November zur Verfügung stehen. Bis dahin ist ein Verzicht auf russisches Gas daher nur sehr schwer möglich.