Am 24. Februar, als Wladimir Putin die Ukraine überfallen ließ, war Joanna Posch bei ihren Eltern in Warschau zu Besuch. "Ich war vier Tage dort und alle vier Tage saßen wir vor dem Fernseher und schauten Nachrichten", erzählt Posch. "Es fühlte sich an, als wäre der Krieg im eigenen Land. Nicht nur sind jetzt schon zwei Millionen Geflüchtete in Polen, es herrscht Angst, weil man sich sehr lebendig an die Geschichte erinnert", spielt Posch darauf an, dass ihr Geburtsland im Zweiten Weltkrieg im Westen von Nazideutschland und im Osten von den Sowjets besetzt wurde. "Jedes Jahr am Jahrestag des Warschauer Aufstandes am 1. August 1944 bleiben die Menschen für eine Minute auf der Straße stehen."
Zurück in Graz – Posch, Jahrgang 1975, lebt seit ihrem Studium in Österreich – überlegte die Unternehmerin, wie sie helfen kann, "ich als Mensch, wir als Firma". Die Antwort: "Wir tun, was wir am besten können, wir vermitteln Jobs." So stellte die Inhaberin der auf das Finanzwesen spezialisierten Personalagentur "F" die Web-Plattform Pratsya.at auf die Beine. Pratsya ist ukrainisch, heißt Arbeit und wendet sich in fünf Sprachen an arbeitssuchende UkrainerInnen und an Fachkräfte suchende Unternehmen. Bezahlen müssen für das Service nur die Betriebe, wenn sie eine Arbeitskraft finden.
"Gerade vorhin war eine Frau aus der Ukraine hier. Sie ist seit 5. März in Österreich, ihre beiden Kinder sind bereits in einer Schule. Und sie sagte, es mache sie verrückt, wenn sie nicht arbeiten könne." Sie sei Buchhalterin, spreche Ukrainisch, Russisch und Englisch, aber "sie ist bereit, jede andere Arbeit anzunehmen", erklärt Posch.
Seit 14. März ist Pratsya.at online, innerhalb der ersten Woche registrierten sich auf der Plattform 250 Menschen, fast nur Frauen. "Das ist sehr viel, wenn man das mit der Resonanz auf Jobinserate in unserer Branche vergleicht." Für die allererste Bewerberin gäbe es bereits einen Arbeitsplatz in einem Betrieb. "Es handelt sich um eine Textiltechnologin mit Uni-Abschluss. Ein Schneideratelier möchte sie nehmen, ihre Vorgesetzte wäre eine Weißrussin, damit fällt die Sprachbarriere." Noch fehlt, um die Arbeit wirklich aufnehmen zu dürfen, die "blaue Karte", die Aufenthaltsbewilligung als Voraussetzung für die Beschäftigungsbewilligung.
"Es ist ein Beispiel dafür, dass es auch ohne Deutsch geht", fügt Posch hinzu, selbst vier Sprachen beherrschend – neben Deutsch und Englisch auch Polnisch und Russisch. "Mit der Kombination aus Polnisch und Russisch verstehe ich auch Ukrainisch gut." Für das Projekt Pratsya.at hilft dennoch ein ukrainischer Native Speaker aus.
"Wir sind keine Stellenbörse", betont die Initiatorin, "unsere Kompetenz ist es, Barrieren zu überwinden, die Leute abzuholen, wo sie sind, und mit den richtigen Unternehmen zusammenzubringen. Dazu reicht es nicht, Stelleninserate ins Ukrainische zu übersetzen." Die bisher registrierten Qualifikationen der Frauen bilden ein breites Spektrum ab, es reiche von Ärztinnen, Apothekerinnen, Logopädinnen bis zu Buchhalterinnen, Bibliothekarinnen, Mathematikerinnen, Köchinnen und Bäckerinnen. "All diese Frauen wollen arbeiten, egal, was. Das ist eine große Chance für den ausgetrockneten Fachkräftemarkt in Österreich, hier sind aktuell 100.000 Stellen unbesetzt."