Mit Strategien ist das so eine Sache: Sie können relativ schnell Altpapier werden. Die letzte OMV-Strategie ist dafür ein gutes Beispiel. Vor vier Jahren war sie taufrisch, die Frage nach Klimazielen sorgte da noch für Irritationen. Damals war viel von Russland die Rede, aber ganz anders als heute. Schon im Vorjahr wollte der Ex-Chef Rainer Seele dem Konzern eine neue Strategie verpassen. Das hat jetzt der neu formierte Vorstand unter Alfred Stern gemacht. Es ist ein sehr klarer, extrem detaillierter Fahrplan vor allem für die nächsten Etappenziele geworden, wie die OMV die schrittweise Abkehr von Öl und Gas schaffen kann. Ob es beim Langfristziel bleibt, erst 2050 völlig aus dem fossilen Business auszusteigen, das werden künftige Strategien weisen.
Klar ist, noch werden Öl und Gas zur Finanzierung des Umbaus gebraucht. Für Stern sind sie der „Cash-Generator“. Die wichtigste „Wachstumsmaschine“ soll aber die Chemiesparte mit dem Kunststoff-Konzern Borealis sein. Die Finanzkraft der OMV nicht zu unterminieren und die Investitionsfähigkeit bei 3,5 Milliarden Euro pro Jahr zu halten, hat oberste Priorität im Umbauplan. 40 Prozent der Investitionen gehen in CO2-arme Projekte.
Die Strategie im Detail: Bis 2030 werden 20 Prozent weniger Öl und Gas gefördert. Beim Öl gehen die Mengen deutlich stärker zurück als beim Gas. Bis 2026 gibt es sogar noch große Investitionen. Eine ist die geplante Erschließung des Gasfelds „Neptun“ im Schwarzen Meer. Noch fehlen in Rumänien allerdings notwendige Gesetze und eine Pipeline. „Wir halten Gas in einem Zwischenstadium für enorm wichtig,“ so Stern. „Neptun ist ein Schlüsselprojekt.“ 70.000 Fördereinheiten gäbe Neptun täglich für rund zehn Jahre her. Dafür müsste die OMV zwei Milliarden Euro in die Hand nehmen. Bei einem Baubeginn 2023 könnte ab 2027 Gas fließen – was nichts an den Zielen ändern soll, die gesamte Gasproduktion bis 2030 um 15 Prozent zu reduzieren. Die Rohölproduktion soll sogar um 30 Prozent sinken. Bei der Gesamtproduktion läge man dann bei 400.000 Fördereinheiten Öl und Gas pro Tag. Bei allen Förderungen soll bis 2025 die extrem klimaschädliche Methanfreisetzung gegen null gehen.
Offen ist noch, welche Rolle das russische Feld Russkoje im Portfolio künftig spielen wird, wo die OMV mit 24,99 Prozent an der dortigen Fördergesellschaft der Gazprom beteiligt ist. Stern wollte darauf angesichts der extrem angespannten politischen Lage nicht im Detail eingehen, alles sei möglich bis hin zu einem Ausstieg, „allerdings gibt es eine komplexe rechtliche Situation, die wir jetzt untersuchen“. Weniger Öl fördern zu wollen, bezieht sich vor allem auf Russland, wo die Mengen von derzeit 100.000 Fass Öläquivalenten auf 80.000 Fass 2025 und 40.000 Einheiten 2030 am Tag sinken sollen.
Parallel arbeitet die OMV an einer „Führungsrolle“ bei alternativen Treibstoffen. 2030 sollen 1,5 Millionen Jahrestonnen produziert werden, davon die Hälfte SAF, Sustainable Aviation Fuel. Bis 2030 will die OMV in Europa 2000 Tankstellen mit Elektro-Ladestationen ausstatten und 17.000 Wallboxen in Unternehmen betreiben. Wer den Strom liefert, ist noch offen.
Schlüsselrolle für die Borealis
Ebenfalls mit Partnern will die OMV in zwei große neue Bereiche expandieren: Die Geothermie und Carbon Capture Storage, also die Speicherung großer CO₂-Mengen. In Österreich ist das zwar verboten, in sehr vielen Ländern aber nicht. Fünf Milliarden Euro Investitionen sind für beides bis 2030 vorgesehen. Ein Geothermie-Projekt dürfte bereits in Kürze in Österreich realisiert werden. Bis 2030 will die OMV neun Terawattstunden Erdwärme über Sonden nutzen. Gasfracking ist kein Thema.
Kreislaufwirtschaft wird speziell in der Chemiesparte und damit bei der Borealis künftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Stern erwartet weltweit stark steigende Nachfrage nach Kunststoffen. Er appelliert mit Nachdruck, Produkte endlich voll recyclingfähig zu designen.
Finanzvorstand Reinhard Florey sieht die OMV in einer „beneidenswerten Position,“ er erwähnte speziell die 2020 gekaufte hochprofitable Borealis. Bei der Entschuldung sei man enorm schnell gewesen und habe nun trotz Krise große finanzielle Stärke. Mindestens sechs Milliarden Euro operatives Ergebnis im Jahr verspricht der Vorstand – immerhin so viel wie im Rekordjahr 2021.
Claudia Haase