Für Russlands Oligarchen war Österreich nie von zentrale Bedeutung und auch ihre diesbezüglichen Beziehungen hielten sich in engen Grenzen. Eine rare Ausnahme ist der ursprünglich vor allem im Rohstoffsektor tätige Oleg Deripaska, den die russische Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes 2021 mit einem Vermögen von 3,4 Milliarden Euro taxierte. Obwohl ihm wiederholt Kreml-Nähe nachgesagt wurde, brachte er zuletzt seinen Unmut mit dem Krieg gegen die Ukraine zum Ausdruck.
"Mir scheint, dass wir noch nie mit solchen Herausforderungen zu tun hatten", erklärte der 54-jährige Unternehmer am 3. März bei einer Veranstaltung im sibirischen Krasnojarsk. Russland erwarte in den nächsten Jahren eine "maximal harte Krise", die Krise des Jahres 1998 solle mit dem Faktor Drei multipliziert werden, erläuterte Deripaska und spielte damit an damalige Rubelentwertung und ihre Konsequenzen an. Wladimir Putin war 2000 unter anderem deshalb an die Macht gekommen, weil die russische Bevölkerung an seine Fähigkeit glaubte, die wirtschaftliche Instabilität der Neunzigerjahre zu überwinden. Mit seiner Entscheidung in den Krieg gegen die Ukraine zu ziehen, dürften laut Deripaskas Darstellung gerade diese schwierigen Zeiten ein Revival feiern.
Zwischen den Zeilen ließ der Oligarch in den letzten Tagen in Publikationen in seinem Telegram-Kanal wenig Zweifel daran, sich vom geheimdienstlastigen innersten Machtzirkel um Wladimir Putin distanzieren zu wollen. So beklagte er sich etwa, dass Großbritannien über ihn Sanktionen verhängte und verwies auf einen Artikel aus den "Financial Times", in dem unter anderem auf Deripaskas Unbehagen mit der Invasion der Ukraine hingewiesen wurde.
Auch veröffentlichte der Unternehmer den Link auf ein Video von exilierten Mitstreitern des in Russland inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, in dem im Zusammenhang mit Fehleinschätzungen zur Ukraine über eine Säuberungswelle im Geheimdienst FSB spekuliert wurde. Dabei galten Nawalny und sein Umfeld in den letzten Jahren als heftigste Kritiker Deripaskas. Sie warfen ihm unter anderem vor, ein angebliches Luxusleben des russischen Außenministers Sergej Lawrow und dessen mutmaßlicher Geliebter finanziert zu haben. In einer Gerichtsverhandlung am Dienstag beschuldigte Nawalny laut Angaben seiner Mitstreiter Deripaska sowie den Oligarchen Alischer Usmanow, jene Kampagne von Kreml-nahen Aktivisten finanziert zu haben, die ihm weitere Gefängnisstrafe einbringen solle.
Ein Sieger der "Aluminiumkriege"
Begonnen hatte der studierte Physiker Deripaska seine wirtschaftliche Karriere Anfang der Neunziger im Handel mit Metallen. Später wechselte er in den Aluminiumsektor, wo er in den legendären und teils blutig ausgetragen "Aluminiumkriegen" als einer der Sieger hervorging. Es folgte ein Engagement beim Automobilproduzenten GAZ in Nischni Nowgorod, für den auch der ehemalige Magna-Manager Siegfried Wolf tätig wurde.
Wolf ist freilich nicht der einzige Bezugspunkt von Deripaska in Österreich, sein ehemaliger Schwiegervater Walentin Jumaschew, der Großvater seiner Kinder, sowie seine Ex-Stiefschwiegermutter Tatjana, ihres Zeichens Tochter von Ex-Präsident Boris Jelzin, wurden laut einem Bericht der Zeitschrift "News" vor etwa zehn Jahren österreichische Staatsbürger. Über einige Jahre lang spielte zudem ein österreichischer Hauslehrer eine wichtige Rolle für die Ausbildung der Kinder des Unternehmers.
Kirchen-Financier und die Rolle bei der Strabag
Zuletzt finanzierte Deripaska aber auch den Bau einer russischen-orthodoxen Kirche in Laa-an-der-Thaya, mit der er an seinen 1945 vor Ort bei der Befreiung von Österreich gefallenen Großvater Timofej erinnerte. Bei einer Zeremonie, mit der im Juni 2021 an den Überfall von NS-Deutschland auf die Sowjetunion vor 80 Jahren gedacht wurde, waren neben Deripaska und Wolf auch Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) sowie der niederösterreichische Landesrat Martin Eichinger (ÖVP) anwesend.
Abgesehen davon zeigte der Russe aber auch geschäftliches Interesse an Österreich. Ihm zuzurechnende Firmen erwarben ein Hotel in Lech am Arlberg, das mittlerweile verkauft wurde, sowie einen knapp 28-prozentigen Anteil am Baukonzern Strabag. Nachdem der russische Unternehmer laut Angaben der "Vorarlberger Nachrichten" an einen Cousin verkaufte, kündigte Strabag-Großaktionär Haselsteiner den Syndikatsvertrag mit den anderen beiden Großaktionären des Baukonzerns, darunter eine Gesellschaft Deripaskas im russischen Kaliningrad, strich Deripaska die Dividende und kündigte an, sich aus Russland zurückzuziehen.
In den letzten Jahren kämpfte der Unternehmer, der selbst ausgezeichnet englisch parliert, mit westlichen Sanktionen. "Standard" und "Zeit" vermeldeten im Oktober 2021, dass der damalige österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) 2020 beim Weltwirtschaftsforum Davos sich bei hochrangigen Vertretern der Trump-Administration für den von US-Sanktionen betroffenen GAZ-Konzern hätte einsetzen sollen. Wolf, der laut dieser Darstellung darum ersucht haben soll, sowie ein Sprecher von Kurz dementierten diesbezügliche Pläne. Derzeit wird über mögliche EU-Sanktionen diskutiert. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) widersprach am Freitag Medienberichten, wonach Österreich Sanktionen gegen den Deripaska vereitelt hätte.