Der Ukraine-Krieg hat den Weizenpreis von rund 290 Euro je Tonne auf einen Rekordwert von über 400 Euro hochschnellen lassen. Der langjährige Wifo-Agrarökonom Franz Sinabell hat bereits einige Krisen auf den Getreidemärkten beobachtet. "Einen so raschen Preisanstieg in so wenigen Tagen habe ich noch nie erlebt", sagte der Wiener Ökonom zur APA. Fast ein Drittel der weltweiten Weizenexporte stammte vor dem Krieg aus Russland und der Ukraine.
Wie eine Getreideernte in der Ukraine in Zeiten des Kriegs stattfinden soll, ist ungewiss. "Im besten Fall" könnten sich die Ukrainer heuer "selbst ernähren, wenn es so weitergeht", erwartet Sinabell. Ein mögliches Szenario sei auch, dass die Ukraine selbst Getreide-Hilfslieferungen brauche. Russland wird Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew zufolge seine Exportverpflichtungen im Agrarsektor erfüllen, hieß es am Donnerstag. Die russische Nachrichtenagentur Interfax hatte zuvor gemeldet, dass Russland den Export von Weizen von 15. März bis Ende August einschränken will.
Für eine Lieferung im Mai kostet die Tonne Weizen an der Warenterminbörse Euronext in Paris zuletzt rund 368,50 Euro und für Dezember 307,5 Euro. Der Markt erwarte im Laufe des Jahres einen Preisrückgang, so Sinabell.
Teures Brot, teures Schweinefutter
Weltweit blicken Politiker mit Besorgnis auf die hohen Getreidepreise. Teures Brot hat in der Vergangenheit zu politischen Unruhen, etwa in Nordafrika geführt. Der Wifo-Agrarökonom kann sich vorstellen, dass es auf Ebene der G7-Länder in nächster Zeit "konzertierte Maßnahmen" geben könnte, um die Versorgungslage zu stabilisieren. Auch die EU könnte über die UNO Getreidelieferungen nach Afrika finanzieren, so der Experte.
Sinabell rechnet für die Getreidebauern trotz hoher Weizenpreise mit "einem nicht so guten Jahr". Die Vorteile würden durch die ebenfalls stark gestiegenen Inputkosten, etwa für Dünger und Diesel, wieder aufgefressen. In Österreich könnten Betriebe mineralische oder synthetische Düngemittel teilweise durch Stallmist ersetzen. Andere Länder sind in ihrer Landwirtschaft sehr stark auf industrielle Düngemittel angewiesen. Weißrussland und Russland zählen zu den größten Düngemittelproduzenten weltweit. Russland setzt nach Angaben von Industrieminister Denis Manturow vorübergehend den Export von Dünger aus. Die hohen Preise für Futtermittel (u.a. Mais, Getreide, Soja) belasten weltweit auch die Schweinebauern.
In den nächsten Monaten erwartet der Wiener Agrarökonom einen Rückgang der Weizenpreise auf den Terminmärkten, aber ein weiterhin hohes Preisniveau. Dies werde aber nur dann eintreten, solange die Weizenexporte von Russland und der Ukraine "nicht völlig zum Erliegen" kommen. Die österreichischen Bauern können die Getreidenachfrage hierzulande relativ gut abdecken. Der Selbstversorgungsgrad bei Getreide lag in Österreich zuletzt bei rund 88 Prozent.
Die Kapriolen am Getreidemarkt stellen die heimischen Mühlen, Lebensmittelproduzenten und Getreidehändler vor eine schwierige Aufgabe. "In der aktuellen Situation sind die Preisentwicklungen unvorhersehbar, weil sie vom weiteren Verlauf der Situation in der Ukraine abhängen", hieß es von der Raiffeisen Ware Austria (RWA) zur APA. "Zu einem geringen Teil" würden Getreidebauern den Preis für ihre erwartete Ernte per Vorvertrag fixieren wollen. Die RWA verwies auch darauf, "dass in der aktuellen Situation das physische Getreidegeschäft sehr gering ist und die Börsenpreise die aktuelle Marktsituation nicht widerspiegeln". Dies werde "sich natürlich mittelfristig wieder annähern".
Für die Leipnik-Lundenburger-Tochter GoodMills (u.a. Fini's Feinstes und Farina) ist der künftige Getreidepreis von der "weiteren Entwicklungen in der Ukraine abhängig und daher zum aktuellen Zeitpunkt nicht einschätzbar". Als Österreichs und Europas größtes Mühlenunternehmen analysiere man die Entwicklungen auf den Rohstoffmärkten kontinuierlich. GoodMills mit Sitz in Wien ist mit 25 Mühlen in 7 Ländern nach eigenen Angaben das größte Mühlenunternehmen in Zentral- und Osteuropa. "Zum aktuellen Zeitpunkt können wir zudem sagen, dass in allen Ländern, in denen GoodMills operativ tätig ist, ausreichend Getreide am Markt vorhanden ist, um die Produktion in den Mühlen aufrechtzuerhalten", so GoodMills-Chef Leonhard Gollegger. "Der Mehlpreis ist bei bestehenden Verträgen gesichert, bei neuen wird es zu Angleichungen an den steigenden Weltmarktpreis bei Weizen kommen."
Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Russland-Sanktionen belasten auch die heimische Lebensmittelindustrie. Man spüre die Auswirkungen auf Energie- und Lebensmittelpreise, die Energieversorgung, Lieferungen und Lieferketten, hieß es kürzlich vom WKÖ-Fachverband der Lebensmittelindustrie.
"Aktuell ist die Lebensmittelversorgung in Österreich nicht bedroht", sagte Landwirtschaftsminister Elisabeth Köstinger am Donnerstag laut Parlamentskorrespondenz im Landwirtschaftsausschuss. Es gehe weniger um die Verfügbarkeit, sondern um die Entwicklung der Preise. Um schnell reagieren zu können, habe man einen Einsatzstab zur Lebensmittelversorgung in ihrem Ressort eingerichtet. Eine zusätzliche Herausforderung sind laut der Ministerin die drohenden Versorgungsengpässe in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die meisten Fragen müsse man aber auf europäischer Ebene gelöst werden, so Köstinger.