Gut möglich, dass sich in den nächsten Tagen eine neue, aber harmlose Krankheit rasant ausbreitet. Sie manifestiert sich durch einen markant gekrümmten Zeigefinger, der hartnäckig in dieser Position bleibt. Ein kleiner Haltungsschaden, ausgelöst durch stunden- und nächtelanges Drücken am Playstation-Controller.
Denn mit den schon gewohnten Verzögerungen ist „Gran Turismo 7“, Champion aller Rennsport-Spiele, auf Anhieb zu einem neuen Siegeszug angetreten und sicherte sich sofort wieder die Poleposition. Dies belegt allein schon die gigantische Zahl an Vorbestellungen der Jubiläums-Ausgabe. Schon mit der ersten Version, veröffentlicht im Jahr 1997, also vor 25 Jahren, sorgte „GT“ für eine Revolution im damals noch ruckelten und zuckelten Genre der friedvollen Raserei im Wohnzimmer. Weitere Meilensteine folgten, auch Flops und peinliche Programmier-Patschen blieben nicht aus. Insgesamt wurden weltweit mehr als 80 Millionen Spiele verkauft.
Ein "gebrauchter" Start
Aber jetzt heißt es, zurück zu den Wurzeln – zur Freude aller „GT“-Fans der ersten Stunde. Wer sich ins große Rennsport-Abenteuer wagt, der muss wieder, wie einst, mit einem Gebrauchtwagen beginnen und sich ziemlich mühsam Stück für Stück nach oben rackern. Der Story-Modus ist nett und niedlich, das Zentrum des Spiels bildet so eine Art von Schlumpfhausen für Rennsport-Freaks. Ein Cafe, einladend und gemütlich, spielt eine wichtige Rolle, denn dort werden neue Rennspiel-Aufträge vergeben. Erst allmählich öffnen weitere Läden ihre Pforten. Vom Neuwagen-Händler bis zum recht lange vermissten Tuning-Shop, der Bastler und Tüftler garantiert wieder zum schier endlosen Feilen an der Ideal-Einstellung ihres Gefährtes animiert.
Wunderbar an „Gran Turismo 7“ ist, neben der grandiosen Fahrphysik und der zuweilen fast schon filmischen Präsentation, das Wechselspiel zwischen der Rasanz auf den Rennstrecken und der Entschleunigung durch Zwischensequenzen, durch einen großartigen Fotomodus oder durch die Fülle an Infos über die jeweiligen Fahrzeuge. Insgesamt 424 Automobile stehen zur Auswahl, von famosen Oldies wie dem Fiat 500 mit 18 PS bis zu Nobelschlitten, die auch recht locker 400 km/h schaffen. Ein Fall für Feger und Sammler.
Wieder einmal nicht übers Herz brachte es der japanische Chefdesigner Kazunori Yamauchi, ein Perfektionist der Sonderklasse, Schadensmodelle zu konstruieren und damit die Schwelle zur echten Rennsport-Simulation zu überspringen. Dies ermöglicht es Schurken und Rowdies, gegnerische Fahrzeuge recht rüde in die Botanik oder in die Leitplanken zu befördern und die Konkurrenz nach dem Ping-Pong-Prinzip zu überholen.
Schwergewicht: 90 Gigabyte zum Start
Als Entschädigung liefert der vielfache Millionär, der privat ein leidenschaftlicher Auto-Sammler und Hobby-Rennfahrer ist, ein optisches Feuerwerk, abgesehen natürlich vom grenzenlosen Hobelspaß auf mehr als 30 Rennstrecken und Offroad-Pisten, darunter wieder der alte Nürburgring, Monza, Brands Hatch undundund.
Wobei das jetzt an den Start gebrachte Game garantiert regelmäßig durch Strecken und Fahrzeuge erweitert wird. Wer da mithalten will, braucht also auch einigen Speicherplatz auf seiner Konsole. Derzeit sind es bereits rund 90 GB. Außerdem gibt es, kleiner Trost für alle, die bisher durch die Finger schauten, wegen der nach wie vor bestehenden Lieferengpässe bei der Playstation 5 auch eine PS4-Variante. Alsdann: Gummi geben – und auf den Zeigefinger achten, der kann zum Schadensmodell werden.
Werner Krause