Die Ukraine gilt als die Kornkammer der Welt. Deutsche Politiker warnen, dass der Krieg auch bei uns die Lebensmittel verteuern wird. Zu Recht?
FRANZ SINABELL: Nicht alles, was für Deutschland zutrifft, trifft in gleichem Maß für Österreich zu. So stiegen in den letzten Monaten in Deutschland die Lebensmittelpreise schon deutlich stärker als hierzulande. Aber ja, bei den Rohstoffpreisen spürt man schon erste Auswirkungen.
An der Börsen erreicht der Weizenpreis täglich Rekordhochs.
Wenn Sie die Future-Preise in London anschauen, sehen Sie, dass schon vor der Krise, im November 2021, Höchstpreise erzielt wurden und die Preise bis vor Kurzem sanken. Seit einer Woche steigen sie stark an.
Wie wichtig ist die Ukraine für die weltweiten Agrarmärkte?
Agrargüter sind der wichtigste Exportzweig der Ukraine. Sie ist stark in der Produktion von Getreide, Ölfrüchten und Obst. Österreich importiert vor allem Ölsaaten und tiefgekühltes Obst.
Was passiert, sollte die Ukraine russisch kontrolliert werden und somit als Agrar-Exportland wegbrechen?
Es geht uns zwar ein Markt verloren, aber ich habe keine Angst vor einer Versorgungskrise in Europa.
Warum nicht?
Die Russen werden, sollten sie die Ukraine kontrollieren, wohl nicht so verrückt sein und deren wichtigste Einnahmequelle kappen. Andererseits ist in der Ukraine vor 100 Jahren Hunger schon einmal als Instrument der Politik eingesetzt worden. Das wäre das allerschlimmste Szenario. Wahrscheinlicher ist, dass eine Marionettenregierung installiert wird, die die Agrarproduktion weiterführt.
Wären dann Geschäfte mit der EU möglich? Russland sperrt seit den Sanktionen 2014 die Einfuhr von Fleisch, Milch, Obst & Co.
Ich bin sicher, dass die EU dann nichts importiert. Wir werden uns von den Weltmärkten versorgen. Im besten Fall werden Getreide und Ölfrüchte in der Ukraine weiter produziert und über andere Länder am Weltmarkt abgesetzt.
So wie China – Zufall oder nicht – genau jetzt die Tore für Weizen aus Russland öffnet?
Diese Reaktion führt dann dazu, dass sich der Preis auf den Weltmärkten stabilisiert. Weil im besten Fall nicht weniger erzeugt, sondern nur woanders konsumiert wird. Aber: Wir wissen nicht, was Putin vorhat.
Zu den Sanktionen: Putin hat bisher fast immer mit Gegen-Sanktionen geantwortet. Könnte der heimischen Landwirtschaft noch etwas blühen, oder ist da der Hahn eh schon so zugedreht?
Das Ziel Putins ab 2014 war, die europäische Landwirtschaft durch die Importstopps gegen die EU-Politik aufzubringen. Das wird ihm jetzt nicht mehr gelingen, weil es diese Embargos noch immer gibt. Wenn ohnehin wenig Waren hin und hergehen, ist das Pulver verschossen. Daher sind wir bei möglichen Gegen-Sanktionen jetzt wohl rasch bei der Energie.
Wie gut hat Russland die Eigenversorgung mit Lebensmitteln aufgebaut seit den Sanktionen?
Die Landwirtschaft wurde massiv aufgebaut. Das war ein Ziel Putins, die Abhängigkeit von Importen zu reduzieren und die nach der Ostöffnung völlig zusammengebrochene Landwirtschaft wieder neu aufzubauen. Das haben sie durchgezogen, die Zeche haben die Verbraucherinnen und Verbraucher gezahlt, weil alles teurer wurde.
In Österreich sanken die Schweinefleischpreise auf Tiefststände. Wenn nun die Getreidepreise stark steigen, könnten viele Bauern Mais und Weizen gleich vom Feld verkaufen, statt sie an Schweine zu verfüttern. Was heißt das für unsere Eigenversorgung?
So funktionieren Märkte, das ist das Phänomen des Schweinezyklus. Auch wenn innerhalb der Landwirtschaft auf andere Produkte umgestellt wird, können die Leute die notwendigen Kalorien ja trotzdem zu sich nehmen. Dann wird Fleisch wieder teurer, weil es knapper wird, und es gleicht sich wieder aus.
Ulrich Dunst