Die EU-Sanktionen gegen Russland seien zwar die schärfsten, die je über einen Handelspartner verhängt worden seien, allerdings "gäbe es noch Potenzial für strengere Sanktionen", sagt Wifo-Außenhandelsexperte Harald Oberhofer. Grundsätzlich sei Russland von der EU ökonomisch deutlich abhängiger als umgekehrt, 40 Prozent aller russischen Exporte gehen in die Union. Die Wirtschaftsleistung der EU ist fünfmal so hoch wie jene Russlands. "Sanktionen sollen dem anderen mehr wehtun als einem selbst. Das scheint mit diesen Sanktionen der Fall zu sein."

Mit den Strafmaßnahmen gegen das russische Transportwesen wollen EU, USA und Großbritannien verhindern, dass Russland für seine Flugzeuge westlicher Fabrikate an Ersatzteile und technische Komponenten kommt. Das betrifft rund drei Viertel der russischen Luftfahrtzeuge. "Eine prinzipiell gut überlegte Sache, die aber erst in einiger Zeit zu wirken beginnen wird", sagt Oberhofer. "Wenn gewisse Standards nicht mehr erfüllt werden können, dürfen Flugzeuge nicht mehr fliegen, der ökonomische Schaden entsteht durch den Ausfall von Flottenteilen." Allerdings bestehe hier – wie bei anderen Sanktionen – die Gefahr der Umgehung durch den Handel mit anderen Staaten.

Wifo-Außenhandelsexperte Prof. Harald Oberhofer
Wifo-Außenhandelsexperte Prof. Harald Oberhofer © KK

Ausschluss von Finanzierungsmitteln

70 Prozent der russischen Banken sollen von Sanktionen im Finanzsektor betroffen sein. Sie werden vom westlichen Finanzsystem ausgeschlossen, für sie wird es schwierig, an Finanzierungsmittel zu kommen. Das soll sich auch auf die Kreditwürdigkeit der Banken auswirken. Die Refinanzierung des russischen Staates im Westen wird so ausgeschlossen, heißt es. "Wenn dann, wie bereits 2014, chinesische Banken einspringen, wird der Effekt allerdings geringer ausfallen", sagt Oberhofer.

Hürden für Schlüsselindustrien

Exportkontrollen für Hightech-Waren und Software sollen es russischen Schlüsselindustrienerschweren, sich weiterzuentwickeln – dabei gehe es um Mikrochips und Halbleiterprodukte, sagt Oberhofer. Man möchte so den Zugang Russlands zu hochqualitativen, komplexen Produkten begrenzen – das betreffe die Rüstungsindustrie ebenso wie die Technologiebranche. Auch Maschinenersatzteile für die Förderung von Erdgas und Erdöl werden nicht mehr geliefert, was die Modernisierung der für Russland so zentralen Öl- und Gas-Förderung erschweren soll.

Ökonomische Relevanz habe es, wenn Geschäftsleuten das Reisen durch die Visapolitik erschwert wird – die Frage sei, wer davon betroffen ist. Je breiter angelegt, umso schmerzhafter.

Zwei größte Hebel unangetastet

Faktum ist aber, dass die zwei größten Hebel gegenüber Russland bisher nicht angetastet wurden. "Die EU ist kein militärisches Sicherheits-Bündnis, sondern kann nur ihr wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale werfen", erklärt Oberhofer. Dafür gäbe es noch Potenzial: Zum einen, indem sie auf russisches Gas verzichtet. "Das würde vor allem der deutschen und der österreichischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen." Aber auch Russland: "Ein vollkommenes Embargo würde Russlands Wirtschaftskraft mit minus 2,9 Prozent vom BIP treffen."

Allerdings heizt eine Million Haushalte in Österreich mit Gas, in vielen Industrieunternehmen wird es als Rohstoff und Energieträger eingesetzt. "Dass man diesen Hammer also nur zögerlich einsetzt, ist nachvollziehbar". Lieferverträge zu kündigen, können sich vom russischen Gas abhängige Staaten wie Österreich erst leisten, wenn sie die Abhängigkeiten – und damit Erpressbarkeit – reduzierten.

"Stillgelegte Kernkraftwerke reaktivieren"

Auch RBI-Chefanalyst Peter Brezinschek hält die Reduktion von russischen Energielieferungen für "unsere größte Waffe". Je früher man sich davon emanzipiere, desto besser. Um sich aus der "russischen Erdgaszange" zu lösen, müssen alle möglichen Alternativen erwogen werden: "Auch die, stillgelegte Kernkraftwerke zu reaktivieren. Die Deutschen müssten da über ihren Schatten springen", sagt Brezinschek.

Der zweite, noch nicht gezogene Hebel: Der Ausschluss Russlands aus dem Swift-System. "Damit würde Russlands Geschäftsbasis ausgetrocknet, Überweisungen wären nicht mehr möglich." Dass Gazprom weiter Gas nach Europa liefern würde, wenn ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt werden (können), wäre höchst fraglich. "Zu glauben, dass man Russland aus Swift ausschließt, ohne Konsequenzen für die Gaslieferungen, ist naiv gedacht", sagt Oberhofer. "Im schlimmsten Fall könnte es sich Österreich aber leisten, das Gas sehr, sehr teuer einzukaufen und sich so in der Nachfragekette vorzudrängen."

Ein nicht zu unterschätzender Unsicherheitsfaktor sei, so der Wifo-Experte, wie sich die Sanktionsspirale weiter hochschaukelt. "Es kann passieren, dass man am Schluss mit geschlossenen Gashähnen dasteht, ohne dass es jemand zuvor so wollte."