Die EZB zeigt sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mit Blick auf die Konjunkturaussichten alarmiert. "Der über Europa gekommene Kriegsschock verdüstert den globalen Ausblick", warnte EZB-Direktorin Isabel Schnabel am Donnerstag auf einer von der britischen Notenbank organisierten Veranstaltung. Wie sich der russische Einmarsch auf die Konjunkturaussichten der Eurozone auswirke, sei im derzeitigen Stadium höchst unsicher.

Die EZB behalte die Lage genau im Auge und werde sorgfältig prüfen, welche Konsequenzen diese für ihre Geldpolitik habe. Schnabel sprach mit Blick auf die russische Invasion von einem "schrecklichen Akt der Aggression" und einem traurigen Tag für Europa und die Welt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte zuvor mitgeteilt, dass sie bei der Zinssitzung am 10. März eine umfassende Bewertung des Konjunkturausblicks vornehmen werde: "Dies beinhaltet die Entwicklungen auf geopolitischem Gebiet." Laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane haben die geopolitischen Spannungen nicht nur Auswirkungen auf die Öl- und Gaspreise, sondern auch auf das Vertrauen der Anleger und der Verbraucher sowie den Handel.

Was bedeutet das für die Zinspolitik?

Der russische Einmarsch in der Nacht zum Donnerstag ereignete sich nur wenige Stunden vor Beginn eines bereits vor längerer Zeit anberaumten informellen Treffens des EZB-Rats in Paris. Die Unterredung dürfte zur Vorbereitung der Zinssitzung im März dienen, bei dem die EZB nach bisheriger Markterwartung einen strafferen Kurs signalisieren könnte. Doch der militärische Konflikt in der Ukraine könnte die Währungshüter nach Ansicht einiger Analysten zu einem vorsichtigeren Vorgehen veranlassen. Auch der griechische Notenbankchef Yannis Stournaras mahnte im Gespräch mit Reuters zur Zurückhaltung: Rufe nach einem Ende der Anleihenkäufe der EZB erteilte er eine Absage. Er würde es befürworten, das sogenannte APP-Programm "mindestens bis zum Jahresende" fortzusetzen.

Die Anleihen-Zukäufe über das Pandemie-Notprogramm PEPP enden im Frühjahr. Die EZB hat im Dezember jedoch beschlossen, das kleinere APP in abgewandelter Form weiterzuführen. Das Ende blieb offen. Dieses gilt aber als Voraussetzung für eine Zinswende, die kurz nach Ende des Programms eingeleitet werden soll. So steht es in der Forward Guidance - der Orientierungslinie der EZB für die Finanzmärkte.

Kurzfristig weiterer Anstieg der Inflation erwartet

Schnabel betonte nun, dass eine schrittweise Normalisierung der Geldpolitik grundsätzlich angezeigt sei - auch, weil sich abzeichne, dass sich die Inflation mittelfristig beim Ziel der Notenbank von 2,0 Prozent einpendeln werde. Es sei dieses Jahr jedoch nicht mehr wahrscheinlich, dass die Teuerungsrate unter diese Zielmarke fallen werde. Es sei kurzfristig sogar ein weiterer Anstieg zu erwarten, doch im Laufe des kommenden Jahres dürfte der Preisdruck wohl schrittweise nachlassen.

Die EZB sieht sich mit einer Rekord-Inflationsrate von 5,1 Prozent konfrontiert. Haupttreiber der Inflation sind die stark gestiegenen Preise für Energie, die nun im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine noch weiter angeheizt werden.

Laut ING-Ökonom Carsten Brzeski dürften die Währungshüter am 10. März wohl noch kein festes Enddatum für die Anleihenkäufe festlegen - und damit auch eine Zinswende weiter in der Schwebe halten. Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank ist anderer Meinung: "Die EZB wird einen vorzeitigen Ausstieg aus ihren Wertpapierankaufprogrammen ankündigen."