Noch ziehen die USA und Europa längst nicht alle Register aus dem Sanktions-Repertoire gegen Russland. Nach den Erfahrungen aus den vergangenen acht Jahren Sanktionsregime ist Wifo-Chef Gabriel Felbermayr allerdings nicht sehr optimistisch, dass die Wirtschaft in dieser Krise möglicherweise relativ glimpflich davon kommt. Insbesondere dann nicht, wenn es zu massiven Kriegshandlungen kommen sollte. Felbermayr: "Dann werden wir sehr viel höhere Schäden haben als durch die bisherigen Sanktionen."
"Die Krise ist aber aushaltbar, solange das Gas nicht abgedreht wird", so Felbermayr am Dienstag im Klub der Wirtschaftspublizisten. "Nicht aushaltbar" sei, so der Ökonom, wenn auch noch ein ähnlicher Konflikt mit Taiwan, was China sich einverleiben möchte, entbrennen sollte. In Taiwan sitzt die versammelte Halbleiterindustrie der Welt, von der Europa derzeit extrem abhängig ist.
Weiter Gas zu liefern, das sicherte Putin nach der Entsendung von Truppen in die Gebiete Donezk und Luhansk am Dienstag zu. Allerdings twitterte Putins enger Vertrauter Dmitri Medvedev als Reaktion auf die Entscheidung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD), das Genehmigungsverfahren für die Pipeline Nordstream 2 zu stoppen: „Herzlich willkommen in einer neuen Welt, wo die Europäer bald schon 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen werden!
Felbermayr mahnt, dass sich Europa aber auch auf das schlechteste Szenario einstellen müsse. Das Gas sei die "Bazooka" unter den Waffen. Grundsätzlich sei Europa wirtschaftlich weit resilienter als die russische Wirtschaft, die zwar in Bezug auf Rohstoffe eine Großmacht sei, aber deren Bruttoinlandsprodukt nur so hoch sei wie jenes von Spanien und dessen Pro-Kopf-Einkommen vergleichbar mit jenem in Bulgarien sei.
Putin verwende Gas ganz klar als Waffe. Auf westlicher Seite dürfe das nicht zu politischen Fehlern führen, mahnt Felbermayr: "Was wir jetzt nicht brauchen können, ist Uneinigkeit. Man sollte auch keine Dinge ausschließen, etwa zu sagen, ohne Gas aus Russland geht es nicht. Man muss die Bevölkerung und die Industrie vorbereiten, dass da etwas Hässliches kommen könnte." Es sei ganz klar, dass Europa ohne russische Gas in eine Rezession stürze. Zu LNG verflüssigtes Erdgas stelle aus Sicht der verfügbaren Mengen keine ausreichende Alternative dar.
Tatsächlich stoppte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Dienstagmittag den Genehmigungsprozess der umstrittenen Gazprom-Pipeline Nordstream 2 völlig. Sie ist fertiggestellt, aber könnte nun möglicherweise auf Jahre auf Eis liegen.
"Das hätte erhebliche Auswirkungen"
Ob bereits jetzt bereits der immer wieder angedrohte Ausschluss Russlands vom internationalen Finanztransaktionssystem Swift kommt, ist derzeit noch unklar. "Das hätte erhebliche Auswirkungen", erklärt Felbermayr. Der Handel mit Russland könnte dadurch praktisch zum Erliegen kommen. Felbermayr: "Das wäre ein weitgehender Handelsboykott." Russland selbst habe allerdings die vergangenen acht Jahre für die Schaffung von Alternativen zu Swift genutzt.
Von Österreichs Banken ist die RBI am stärksten in Russland engagiert. Laut Bank für Internationalen Zahlungsausgleich BIZ beträgt das Gesamtexposure österreichischer Banken 17,5 Milliarden Dollar, umgerechnet etwa 15,4 Milliarden Euro.
Die russische Nationalbank habe Devisen in Höhe von 600 Milliarden Dollar angehäuft, die allerdings auch rasch abschmelzen würde, müsse Russland einen abstürzenden Rubel massiv stützen und viel Geld in einen Krieg pumpen. Unter einer langfristigen Sichtweise nutze Putin derzeit noch ein Zeitfenster, "wo er noch den Hebel in der Hand hat". Die eigene Bevölkerung auf harte Zeiten einzuschwören, sei in Autokratien natürlich einfacher als in Demokratien.
Die Folgen für Österreich
Wie lange die Krise dauern könnte, dazu wagte Felbermayr naturgemäß keine Prognosen. Generell sei die Erfahrung mit Sanktionen aber, "wenn sie einmal da sind, bleiben sie meist lange." Die bisherigen Sanktionen hätten Österreich durch fehlende Geschäfte rund 400 Millionen Euro im Jahr gekostet. Russland selbst habe wirtschaftliche Einbußen von rund 30 Milliarden Euro jährlich erlitten, in Europa sei Deutschland stark betroffen, wo sich der Schaden inzwischen auf bis zu 60 Milliarden Euro summiere, während die US-Wirtschaft geringen Schaden genommen habe. Klar sei, dass der Westen jetzt auch sehr viel mehr Geld als bisher für die Ukraine in die Hand nehmen müsse, um das Land zu stabilisieren.
Infolge weiter steigender Gaspreise müsse der Ausbau der Erneuerbaren Energien mit aller Macht vorangetrieben werden, insbesondere in Kooperation mit Afrika für die Herstellung von Wasserstoff, der beispielsweise in Ammoniak umgewandelt transportabel sei. "An der strukturellen Entscheidung, einen CO₂-Preis einzuführen, sollte man nicht rütteln", rät Felbermayr. Angesichts der Preissteigerungen ändere ein CO₂-Preis an den Rechnungen nicht mehr viel.
Die Industrie könne unter Stress ihre Systeme jedenfalls sehr schnell umbauen, erwartet Felbermayr. Viel zu verlieren habe derzeit die Chemie- und Erdölindustrie. Bei der OMV dürfte die Eskalation des Konflikts des Westens mit Russland das ohnedies schon zuvor beschlossene Aus für eine Erschließung eines weiteren Gasfeldes in Sibirien mit der Gazprom nur bekräftigen. Offiziell bestätigt wurde das bisher nicht, das ist im Zusammenhang mit der Präsentation der neuen OMV-Strategie Mitte März zu erwarten. Aus Sichter Felbermayrs stellt ein Investment in Russland in der jetzigen Situation jedenfalls ein hohes Risiko dar.
Einen Börsencrash erwartet Felbermayr nicht, so der Ökonom im Ö1-Mittagsjournal. Dafür sei der Konflikt zu lokal. Die Wiener Börse hat am Dienstag erneut mit klaren Kursverlusten geschlossen. Der ATX rutschte 62,72 Punkte oder 1,68 Prozent auf 3.668,12 Einheiten ab. Nach deutlich schwächerem Beginn konnte der heimische Leitindex seine Abschläge im Verlauf etwas eingrenzen. Das europäische Umfeld konnte die anfangs deutlichen Kurseinbußen weitgehend wieder aufholen. Stark unter Druck stand erneut die Aktie der RBI mit minus 7,5 Prozent. Die Raiffeisen Bank International (RBI) ist mit Tochterbanken in Russland und in der Ukraine tätig und hat dort derzeit ein normales Geschäft. "Die Lage beider Banken - sowohl in Russland als auch in der Ukraine - ist ruhig und das Geschäft läuft normal. Im Falle einer Eskalation treten die Krisenpläne in Kraft, die die Bank in den vergangenen Wochen vorbereitet hat", so die RBI in einem Statement zur APA. Im Hinblick auf mögliche Sanktionen hat die RBI bereits 115 Millionen Euro an Vorsorgen zurückgelegt.
Claudia Haase