EZB-Chefvolkswirt Philip Lane sieht bei eventuell künftig anstehenden Zinsschritten Flexibilität angezeigt. "Wenn wir Zinsentscheidungen treffen, werden wir uns alle Faktoren anschauen", sagte er am Donnerstag auf einer Online-Veranstaltung. Da sich die Europäische Zentralbank (EZB) derzeit beim Einlagesatz in negativem Territorium bewege, gebe es "keine einfache Antwort" darauf, wie hoch in der Güterabwägung von Für und Wider künftige Schritte ausfallen sollten.

Umfang und Frequenz von Zinsschritten hingen auch davon ab, in welchem Inflationsumfeld man sich befinde. Demnach könnte eine graduelle Normalisierung oder auch ein starke Straffung erforderlich sein. Grundsätzlich seien neben Erhöhungen um einen viertel Prozentpunkt auch andere Anhebungsschritte denkbar.

Zugleich betonte Lane, es gebe mehrere Faktoren, die anzeigten, dass das Umfeld einer "übermäßig" geringen Teuerung, das von 2014 bis 2019 vorherrschte, nicht wiederkehre. In jener Periode sei die Inflation im Durchschnitt bei 0,9 Prozent gelegen. Die EZB strebt eine Inflationsrate von 2,0 Prozent an. Bisher erwarten Notenbank-Volkswirte für die Jahre 2023 und 2024 jeweils eine Rate von 1,8 Prozent – fürs laufende Jahr werden derzeit 3,2 Prozent veranschlagt. Im März werden die Prognosen aktualisiert.

Kein "abrupter" Richtungswechsel

Angeheizt von teurer Energie war die Teuerungsrate im Jänner auf einen Rekordwert von 5,1 Prozent hochgeschnellt. EZB-Chefin Christine Lagarde hat nach der jüngsten Zinssitzung ihre frühere Einschätzung nicht mehr wiederholt, wonach eine Zinswende 2022 sehr unwahrscheinlich sei.

An den Börsen waren zuletzt die Zinsspekulationen ins Kraut geschossen, die von Erhöhungen bis Dezember von bis zu einem halben Prozent ausgingen. Die EZB beließ den geldpolitischen Schlüsselsatz zuletzt bei 0,0 Prozent. Zugleich müssen Banken weiter Strafzinsen zahlen, wenn sie überschüssige Gelder bei der EZB parken: Der Einlagesatz blieb bei minus 0,5 Prozent. Letztmalig hatte die EZB Leitzinsen im Jahr 2011 angehoben. Lagarde hat signalisiert, dass es keinen abrupten Richtungswechsel geben wird.