Die Bremsen von Schienenfahrzeugen sind höchsten Belastungen ausgesetzt: Bei hohen Geschwindigkeiten und tonnenschwer beladenen Waggons wird das gute Zusammenspiel zwischen dem Schienenfahrzeug und seiner Bremsen immens wichtig. An der TU Graz wird bis 2023 eine der weltweit wenigen unabhängigen Prüfstellen für Schienenfahrzeug-Bremssystemen eingerichtet. Auch Systeme von Hochgeschwindigkeitszügen mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h sollen geprüft werden können.

Schienenfahrzeuge haben im Fall einer unzureichenden Bremswirkung keine Ausweichmöglichkeit. Eine zuverlässige Bremswirkung ist daher das um und auf für die Sicherheit von u.a. Güter- und Reisezügen. Ab 2023 können Schienenfahrzeughersteller ihre Bremssystementwicklungen am Campus der TU Graz prüfen lassen, wie die TU am Dienstag informierte. Damit agiert das Institut für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik schon bald als eine der wenigen unabhängigen Prüfstellen für diese Systeme überhaupt. Dann sollen sich auch die bisherigen Wartezeiten für solche Zulassungsprüfungen, die bisher bei einem halben bis ganzen Jahr liegen, deutlich reduzieren.

E-Motor statt Schwungmassen 

Der Bremsenprüfstand der TU Graz beruht auf einem neuen Konzept: Statt Schwungmassen kommt ein E-Motor mit 1,4 Megawatt Leistung zum Einsatz. Das ermögliche flexible Testszenarien mit rasch veränderlichen Beanspruchungen. Geprüft werden dabei auch Bremssysteme von Hochgeschwindigkeitszügen mit Geschwindigkeiten von bis zu 500 km/h.

Der neuartige Prüfstand werde darüber hinaus auch erstmals Untersuchungen von Bremsbelastungen und deren Auswirkungen auf das komplette Fahrwerk erlauben. Für die Forschung erhofft sich Institutsleiter Martin Leitner auch neue Möglichkeiten für die Grundlagenforschung. "Im Realbetrieb führen Bremsvorgänge und die dabei auftretenden Schwingungen dazu, dass die Bauteile des Fahrwerks durch die immer wiederkehrenden Belastungen ermüden. Das kann zu Rissen im Material führen, welche in weiterer Folge ein Versagen verursachen können." Diese auf die Bremsung zurückzuführenden Schwingungen sind wissenschaftlich noch wenig erforscht. Auch hier soll der neue Prüfstand neue Erkenntnisse liefern.

Aufbau der Prüfstandskomponenten ab Sommer

Der Aufbau der Prüfstandskomponenten soll im Sommer beginnen und der reguläre Prüfbetrieb 2023 starten, wobei erste Kooperationspartner bereits Interesse bekundet haben. "Die Gespräche zu künftigen Zusammenarbeiten laufen gut und wir freuen uns, wenn wir unseren innovativen Prüfstand herzeigen und vor allem in Betrieb nehmen können", so Leitner.

Die TU Graz ist seit Jahrzehnten eine fixe Größe in der bahnbezogenen Forschung und Innovation. Um diese Schwerpunktsetzung an der TU Graz weiter zu verankern, wurden erst jüngst eine Professur für Betriebsfestigkeit und Schienenfahrzeugtechnik eingerichtet. Inhaber der Professuren und zugleich Leiter des gleichnamigen Institutes ist Martin Leitner. Zudem hat die TU Graz 2021 gemeinsam mit voestalpine, ÖBB, Siemens Mobility Austria und Virtual Vehicle die Forschungsinitiative Research Cluster Railway Systems gegründet, die mit dem Fokus auf Schienenfahrzeugtechnik, Bahninfrastruktur und Bahnbetrieb die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn weiter steigern soll.

Grazer Prüftechnikspezialist sorgt für Umsetzung

Für Konzeptionierung und Umsetzung des Prüfstands verantwortlich zeichnet das weltweit tätige Technologieunternehmen KS Engineers. Der 600-köpfige Betrieb, mit Hauptsitz in Graz, ist ein international führender Anbieter von Prüfständen und Prüftechnik für die Automobil- und Motorenindustrie. Insbesondere im Bereich der in diesem Zusammenhang komplexen Hochvolt- und Regelungstechnik wird das steirische Unternehmen seine Expertise im Projektvorhaben mit der TU Graz einbringen, bestätigt KS-Geschäftsführer Stefan Pircher: „Mit der Umsetzung dieses Hightech-Prüfstands für die Bahnsystemtechnik können wir unsere weitreichenden Erfahrungen im Bereich der alternativen Antriebe einmal mehr unter Beweis stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir unsere langjährige Kooperation mit der Technischen Universität Graz nun um ein weiteres Kapitel anreichern dürfen.“