Die Inflation in Österreich hat mit 5,1 Prozent den höchsten Wert seit 1984 erreicht, auch in der Euro-Zone liegt der Wert knapp über fünf Prozent. Geht das jetzt so weiter?
GERHARD FABISCH: Viele Jahre war die Inflation kein wirkliches Thema, 2021 sind die Raten stark angestiegen und heuer werden sie, mit hoher Wahrscheinlichkeit, auf einem hohen Niveau bleiben. 2023 könnte es, so die Prognosen, aber zumindest wieder leicht nach unten gehen.

Lange wurde diese Inflationsentwicklung von europäischen Währungshütern als vorübergehendes Phänomen kleingeredet.
Das war womöglich mehr Wunsch als echter Glaube. Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass das jetzt ein vorübergehendes Phänomen sein wird und wir wieder auf die zuvor gewohnten Inflationsraten von 1,5 Prozent zurückkommen. Das bezweifle ich.

Mit welcher Größenordnung rechnen Sie?
Wir sprechen ganz grob von einer Bandbreite von drei bis vier Prozent Inflation, wenn die EZB nicht mit einer Zinserhöhung reagiert. Das ist auch im langfristigen Vergleich eigentlich eher ein Spitzenwert.

Was sind die Hauptgründe?
Wesentliche Gründe sind die Energiepreisentwicklungen, insbesondere Strom und Gas sind hier die Treiber. Hinzu wird kommen, dass in Österreich die CO₂-Bepreisung die Energiepreise wahrscheinlich noch einmal nach oben heben wird. Insgesamt könnten sich die Energiepreise im zweiten Halbjahr zumindest abflachen. Es sind aber auch Dienstleistungen teurer geworden, etwa im Bereich der Beherbergung, der Gastronomie, trotz zeitweiliger Lockdowns. Auch die Lebensmittelpreise ziehen an.

Die Europäische Zentralbank, EZB, hält im Gegensatz zur US-Notenbank Fed, die für heuer ja bis zu vier Zinserhöhungen ins Auge fasst, nach wie vor still. Ist das noch zu rechtfertigen?
Wir sehen, dass die Inflationsraten in Osteuropa noch deutlich höher sind, beispielsweise in Ungarn, Polen und Tschechien. Dort reagieren die Notenbanken bereits, die Leitzinssätze wurden angehoben, wir liegen in Osteuropa auf einem durchschnittlichen Zinsniveau von zwei bis vier Prozent. Davon ist die EZB auch in ihrer Vorstellungskraft weit entfernt. Auch in den USA sind die Inflationsraten höher als in der Euro-Zone. Ich glaube, dass die EZB bei ihrer Geldpolitik auch die hohe Verschuldung in Europa mitberücksichtigt und daher versucht, die Zinsen möglichst lange auf einem so tiefen Niveau zu belassen. Ich selbst bin da skeptisch, ich denke schon, dass die EZB bei den Zinsen ebenfalls nachziehen muss. Ich würde mir wünschen, dass sie eher früher reagiert, als zu spät.

Wann wäre zu spät? Die Leitzinsen in der Euro-Zone sind nun bereits seit März 2016 bei null Prozent einzementiert.
Ich gehe davon aus, dass die EZB weniger von sich heraus eine Erhöhung anstrebt, sondern durch die internationale Zinsentwicklung eher dazu gezwungen wird. Die EZB kann auf Dauer nicht hinten bleiben, wenn außerhalb der Euro-Zone die Zinsen angehoben werden. Wenn die Fed jetzt in mehreren Zinsschritten nach oben geht, dann wird der Zinsabstand zwischen Amerika und Europa wahrscheinlich so groß, dass die EZB auch einen entsprechenden Druck hat, zu reagieren. Sonst würde Geld aus Europa abfließen.

In der Vorwoche wurde eine Zinserhöhung für heuer zumindest nicht mehr kategorisch ausgeschlossen, EZB-Präsidentin Christine Lagarde bleibt aber vage. Wann rechnen Sie mit einer Erhöhung?
Ich kann mir vorstellen, dass es im Herbst, vielleicht Spätherbst, auch in Europa eine Zinserhöhung gibt. Ich gehe von solchen Schritten aus, die die EZB jetzt aber noch nicht verkünden möchte. Das Mandat der EZB ist schließlich die Preisstabilität und höhere Zinsen dämpfen die Inflation.

Wird sie dem gerecht?
Die EZB hat im Gegensatz zur Fed, die auch auf das Wirtschaftswachstum achten muss, nur dieses eine Mandat der Preisstabilität. Und doch scheint die hohe Verschuldung vieler Euro-Staaten ein Mitgrund zu sein, warum die EZB die Zinserhöhung möglichst lange hinauszögert.

Weil sich das einige große Länder wie Italien und Frankreich so wünschen ...
Notenbanken müssen immer ihre Unabhängigkeit im Auge haben. Wenn politische Wünsche über Notenbanken gestioniert werden, dann wird es sehr problematisch. Wenn große Staaten sich aufgrund der eigenen Staatsbudgets niedrige Zinsen wünschen, dann ist das de facto ein politischer Wunsch – und was derartige politische Wünsche für Folgen haben können, lässt sich derzeit in der Türkei sehen. Wenn Notenbanken zum Instrument der Politik werden, wird es gefährlich – ich sage nicht, dass das bei der EZB der Fall ist, aber es entsteht ein gewisser Eindruck, dass man sich da ein bisserl dienlich macht.

Wie würde sich eine Zinserhöhung auf die Wirtschaftsentwicklung auswirken?
Ich glaube nicht, dass man die Wirtschaft abwürgt, wenn beispielsweise die Zinsen um einen halben Prozentpunkt steigen. Wir reden ja von durchschnittlichen Kreditzinsniveaus von unter zwei Prozent.

Wird 2022 abermals ein konjunkturell starkes Jahr?
Die prognostizierten Wachstumsraten sind hoch, für Österreich werden vier bis fünf Prozent erwartet. Wir schließen uns dem Optimismus an. Auch in unseren Planungen. Wir gehen davon aus, dass die Kreditnachfrage auf einem hohen Niveau bleibt. Wir haben als Steiermärkische Sparkasse 2021 ein Plus von sieben bis acht Prozent bei der Kreditvergabe verbucht.

Welche Unsicherheitsfaktoren sehen Sie?
Gesamtwirtschaftliche Unsicherheit geht neben der Inflation auch von internationalen Konflikte aus, Stichwort Ukraine-Krise und es bleibt auch noch die Frage, wie es mit der Pandemie wirklich weitergeht.

Seit Jahren müssen Sparer mit einer negativen Realverzinsung leben, die Inflation erschwert die Geldanlage nun noch einmal. Dominiert dieses Thema auch die Kundengespräche in Ihrem Haus?
Ja, das wird in den Kundengesprächen sukzessive zum Thema. Wir sagen schon lange, dass man bei diesem Zinsniveau auch in Wertpapiere gehen muss, das Sparbuch alleine wird real zu Kaufkraftverlusten führen. Wir wollen die Bedeutung des Sparens nicht hinunterdrücken, das ist schon eine wichtige Liquiditätsreserve, die man braucht, aber die Nachfrage nach Wertpapieren steigt. Aktien bieten auch einen gewissen Inflationsschutz, die Anleihenrenditen reichen dafür noch nicht aus.

Aber auch an den Aktienmärkten ist der Jahresstart vielerorts durchaus holprig verlaufen.
Der Jänner war ein etwas schwierigeres Monat, weil die Kurse gepurzelt sind, aber wir sehen jetzt wieder eine Erholung. Natürlich muss man diese Schwankungen auch verkraften und akzeptieren können. Die Märkte sind sicher schon etwas stärker ausgereizt, weil die Zuwächse 2021 außergewöhnlich waren. Die Schwankungen werden sicher eher größer werden – aber über den Jahresschnitt gesehen, davon gehen wir auch 2022 aus, sollte sich die Wirtschaft gut entwickeln – und davon auch die Aktienmärkte profitieren.