Die Europäische Zentralbank (EZB) gerät zunehmend unter Druck, auf die hohe Inflation zu reagieren. Entgegen vieler Erwartungen hat sich die Teuerung im Währungsraum zu Jahresanfang nicht abgeschwächt, sondern weiter beschleunigt. Mit 5,1 Prozent wurde eine neue Rekordmarke seit Bestehen des Währungsraums aufgestellt. Eigentlich ist das Ziel der EZB ja, die Inflation mittelfristig bei 2,0 Prozent zu stabilisieren. Größere Diskussionen im geldpolitischen Rat der EZB dürften daher bei der Zinssitzung an diesem Donnerstag (3. Februar) nicht ausbleiben.

Bisher ist die Position der EZB klar, wenn auch alles andere als unumstritten. Die Notenbank bewertet den hohen Preisauftrieb als größtenteils übergangsweises Phänomen, das vor allem auf coronabedingte Sonderfaktoren zurückgeht. Zinsanhebungen in diesem Jahr seien daher sehr unwahrscheinlich, hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde bis zuletzt regelmäßig betont. Denn für die Jahre 2023 und 2024 gehen die Währungshüter von Inflationsraten in der Nähe ihres mittelfristigen Preisziels von zwei Prozent aus. Das spricht aus Sicht der EZB gegen eine rasche geldpolitische Reaktion, da Zinsanhebungen eher mittelfristig wirken.

Richtungsstreit

Die EZB-Position eines nur temporären Preisschubs ist jedoch hochumstritten. Unter Ökonomen tobt seit längerem ein Richtungsstreit, ob die Sichtweise begründet ("Team Transitory") oder unbegründet ("Team Persistent") ist. Für beide Positionen gibt es Argumente, wobei die aktuelle Entwicklung in vielen Euroländern nicht für einen raschen Rückgang der Teuerung spricht. Dennoch verweisen viele Ökonomen darauf, dass von stark steigenden Löhnen bisher wenig bis nichts zu sehen sei. Die Gefahr einer inflationsverstärkenden Lohn-Preis-Spirale wird daher überwiegend als gering angesehen.

Das ändert jedoch wenig daran, dass die EZB international zu den wenigen Notenbanken gehört, die auf den hohen Preisauftrieb bisher nicht mit Zinsanhebungen reagieren wollen. So hat die US-Notenbank Fed für dieses Jahr schon vor längerem drei Anhebungen in Aussicht gestellt, an den Märkten sind mittlerweile fünf Erhöhungen eingepreist. Fed-Chef Jerome Powell wollte zuletzt sogar weitergehende Anhebungen nicht ausschließen und signalisierte das Bedürfnis großer Flexibilität für die Zinswende. Andere Zentralbanken wie die Bank of England haben ihre Leitzinsen bereits angehoben.

Zinsen bleiben unverändert

Es wird also mit Spannung erwartet, wie EZB-Präsidentin Lagarde die aktuelle Entwicklung bewertet. Konkrete neue Entscheidungen erwarten Analysten zunächst nicht: An den rekordniedrigen Leitzinsen, die teils unter der Nulllinie liegen, dürfte sich nichts ändern. Auch an dem für März avisierten Ende des Corona-Krisenprogramms Pepp dürfte festgehalten werden. Ihre herkömmlichen Wertpapierkäufe APP will die Notenbank im Jahresverlauf zwar zurückführen, ein Enddatum steht aber noch nicht fest. Außerdem beabsichtigt sie, fällige Wertpapiere noch lange Zeit in neue Anleihen zu reinvestieren.

Analysten sehen es allerdings als denkbar an, dass die EZB angesichts der Inflationsentwicklung ihre Kommunikation ändert. "Investoren sollten sich auf das Risiko einer verbalen Kehrtwende der EZB einstellen", sagt Johannes Mayr, Chefvolkswirt beim Vermögensverwalter Eyb & Wallwitz. Experte Christoph Weil von der Commerzbank geht einen Schritt weiter: "Der Druck auf die Notenbank nimmt zu, schon 2022 aus der ultra-expansiven Geldpolitik auszusteigen."

Andrew Kenningham, Europa-Chefvolkswirt von Capital Economics, rechnet damit, dass die EZB ihre Wertpapierkäufe in diesem Jahr komplett einstellt und Anfang 2023, wenn nicht sogar früher, mit Zinserhöhungen beginnt. Bei AllianzGI ist man gelassener und sieht wenig Druck auf die EZB seitens der Finanzmärkte. Die langfristigen Inflationserwartungen würden bereits wieder unter 2,0 Prozent liegen.