Die Steiermark und Kärnten liegen gemeinsam auf der Schienenachse, die das Baltikum mit der Adria verbindet. Dafür werden – auch mit EU-Geld – Koralmbahn und Semmeringtunnel gebaut. Nun plant die EU einen hochrangigen Bahnkorridor in den Westbalkan – wiederum mit Kärnten und der Steiermark. Rücken wir in die Mitte Europas?
HELMUT ADELSBERGER: Auf der Schiene hat sich noch nichts gebessert. Wir haben in alle Richtungen Fehlbestände. Erst wenn die Koralmbahn fertig ist, werden die Verkehrsströme von Polen nach Italien über Graz laufen, sie fahren jetzt großräumig vorbei. Wenn es 2025 so weit sein wird, kommen auch die Züge Graz–Klagenfurt–Villach dazu. Nach Norden gibt es noch die Pyhrnstrecke, in der Anlage bescheiden und vernachlässigt.
Kärnten klagt kaum weniger über die Randlage. Ihr Befund?
Aus Wien und aus Graz ist Kärnten auf dem Schienenweg noch schlechter erreichbar als die Steiermark. Die Verbindung über Salzburg zum deutschen Wirtschaftsraum ist aber besser als aus der Steiermark. Dass sich Infineon in Kärnten und nicht in der Steiermark angesiedelt hat, hat auch damit zu tun.
Koralm und Semmering gehen in diesem Jahrzehnt in Betrieb – wie profitieren dann die beiden Bundesländer davon?
Im Einzugsgebiet von Mürzzuschlag bis Lienz entsteht zusätzliche Wertschöpfung, laut Studie der TU Wien um rund 250 Millionen Euro pro Jahr. Die bessere Erreichbarkeit wird Neuansiedelungen von Unternehmen fördern, bestehende Unternehmen bekommen einen besseren Zugang zu den Märkten. Ein Teil des Verkehrs wird sich von der Straße auf die Schiene verlagern – zwischen Graz und Klagenfurt rechne ich mit bis zu 50 Prozent.
Wie steht es um den Ausbau der Baltisch-Adriatischen Achse nördlich und südlich von Österreich?
Gerade, was diese Achse betrifft, muss man gestehen, dass Österreich der Flaschenhals ist. Hoffen wir, dass der Semmeringtunnel bis 2028 fertig wird. Es gilt außerdem, einige weitere Schlüsselstellen auszubauen – wie die Nordbahn, die Bahn südlich von Wien und aus steirischer Sicht die Strecke Graz–Bruck. In Italien ist der Ausbauzustand seit Langem sehr gut.
Aus Kärntner Sicht?
Kärnten bemüht sich sehr um den Ausbau der Wörtherseetrasse, da steht der Lärmschutz im Vordergrund. Das ist verständlich, aber es besteht kein Kapazitätsengpass. 24 Minuten von Klagenfurt nach Villach passen auch. Verbesserungsbedarf sehe ich noch im Raum Villach. Doch ist der Ausbau Graz–Bruck für Kärnten genauso wichtig, denn hier fahren künftig die Züge nach Wien.
Mit der Koralmbahn werden für Graz–Bruck täglich bis zu 400 Züge prognostiziert. Es handelt sich auch um einen zentralen Abschnitt der steirischen S-Bahn. Wird der Ausbau verschlafen?
Ich habe das in einer Studie für die Sozialpartner vorgeschlagen. Der steirische Masterplan sieht vor, dass Graz–Bruck aus Kapazitätsgründen viergleisig ausgebaut und so trassiert werden soll, dass man so schnell wie auf der Koralmbahn fahren kann. Von Graz nach Bruck sind 18 Minuten Fahrtzeit möglich – statt derzeit 35. Es reicht aber nicht, dass das in einem Papier steht, aus steirischer und aus Kärntner Sicht muss das wirklich getrommelt werden. Die Steiermark muss fordern, dass das in den Rahmenplan des Infrastrukturministeriums hineinkommt. Wenn man will, dass das zwischen 2040 und 2050 fertig ist, muss man jetzt zu planen beginnen.
Bis 2040 sollen auch die Strecken des neuen EU-Korridors in den Westbalkan ausgebaut sein. In Österreich sind das die Tauernstrecke (Salzburg–Kärnten) und Pyhrn-Schober-Achse (Oberösterreich-Steiermark). Warum zwei?
Die Tauernstrecke bleibt die Hauptachse für den Personenverkehr von München über Villach nach Laibach und Zagreb. Sie wurde seit den 1960er-Jahren neu trassiert, mit dem Nachteil, dass sie dadurch für den schweren Güterverkehr zu steil wurde. Die flacher trassierte Pyhrnstrecke ist als Bypass für den Gütertransport besonders geeignet. Die Wachstumsraten im Güterverkehr werden auf der Pyhrnachse deutlich höher sein.
Vorausgesetzt, dass sie modernisiert wird.
Auf der Pyhrnbahn brauchen wir einen neuen Bosrucktunnel – und da möchte ich dringend an die ÖBB und den Bund appellieren: Baut einen gescheiten, zukunftstauglichen Tunnel! Der Talboden im Ennstal und Spital am Pyhrn unterscheiden sich in der Höhenlage nur einen Meter, man kann fast horizontal durch und hat nicht – wie derzeit – steile Rampen. Wenn man das jetzt ordentlich macht, ist das für die nächsten 200 Jahre.
Wie viel Geld wird Österreich dafür investieren müssen?
Für den Basistunnel durch den Bosruck rechne ich mit einer Milliarde Euro, die gleiche Größenordnung wird man in den zweigleisigen Ausbau von Linz bis Spital am Pyhrn stecken müssen.
Die Tauernstrecke ist hingegen schon komplett?
Da gibt es noch auf Salzburger Seite im Gasteiner Tal drei eingleisige Abschnitte von insgesamt acht Kilometern Länge. Im Pass Lueg besteht auch noch dringender Ausbaubedarf.
Die ÖBB nehmen sich vor, den Bosrucktunnel bis 2040 zu bauen. Ginge es schneller?
Ich denke doch. Wenn man die Planung bis 2028 oder 2030 fertig hat, müsste man sofort anfangen zu bauen. Für einen maximal neun Kilometer langen Tunnel brauchen wir hoffentlich keine zehn Jahre – das ist beim Semmering so, aber der ist auch 30 Kilometer lang und ein schwieriger Gebirgsstock.
Angenommen, die heimischen Bahnabschnitte werden in das hochrangige transeuropäische Netz aufgenommen, wie viel zahlt die EU zum Ausbau dazu?
Strecken innerhalb eines Landes erhalten maximal 20 Prozent, Strecken mit Flaschenhälsen 30 Prozent und grenzüberschreitende Abschnitte derzeit 40 Prozent.
Hat Graz-Bruck Chancen, mit 30 Prozent der Baukosten gefördert zu werden?
Aus meiner Sicht ja. Dort überlagern sich mehrere Funktionalitäten, es ist dann Teil von zwei Korridoren – und wir müssen mit der Fahrtzeit runter.