Die jüngste Zuspitzung des Ukraine-Konflikts heizt die Sorgen um weiter steigende Energiepreise an. War vor Weihnachten von vielen Experten noch spätestens einige Wochen nach Ende der Heizsaison mit einer Normalisierung der Lage an den Strom- und Gasmärkten gerechnet worden, scheinen diese Hoffnungen jetzt schwer eingetrübt. "De facto ist es bei den Gaspreisen zu einer stillschweigenden Revision der Markterwartungen gekommen in den vergangenen Tagen," sagt Ökonom Christian Helmenstein. Bei den am Markt gehandelten Futures sei eine Normalisierung erst für das Jahr 2023 und nicht etwa für das Frühjahr 2022 abzulesen. Das ist inzwischen auch auf den Terminmärkten für Strom so, bestätigt Verbund-Sprecherin Ingun Metelko.
Diese neue Entwicklung ist Wasser auf die Mühlen der Industriellenvereinigung (IV), die nicht nur ihre aktuellen Konjunkturumfrage-Daten veröffentlichte, sondern auch darlegte, wie die geforderte finanzielle Abfederung der Energiepreise für Unternehmen funktionieren könnte.
Politisch wird bereits an drei Vorschlägen gearbeitet, um schon sehr rasch Lösungen auf dem Tisch zu haben, so IV-Generalsekretär Christoph Neumayer. Dazu laufen seit einigen Wochen Gespräche mit Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Finanzminister Magnus Brunner, beide ÖVP. Kommen könnten eine Förderpauschale, eine massiv beschleunigte Rückvergütung von Energieabgaben - bisher dauert die Rückvergütung ein bis zwei Jahre - sowie ein Fonds, der aus Einnahmen des CO2-Bepreisungssystems ETS gespeist werden könnte.
Neumayer spricht bei letzterer Variante von mehreren hundert Millionen Euro, die aufstellbar seien. Ob diese dann zurückgezahlt werden sollten, dazu bleib Neumayer wenig konkret. In anderen EU-Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Tschechien gebe es in besonderen Fällen solche Kompensationen. Grundsätzlich könne man sich seitens der IV auch Garantien vorstellen, mit denen man im Zusammenhang mit Corona-Hilfen sehr gute Erfahrungen habe, wie überhaupt die Covid-Finanzierungsagentur Cofag auch die geeignete Abwicklungsstelle sei.
"Seit mindestens 30 Jahren nicht gesehen"
"Eine solche Preisentwicklung haben wir seit mindestens 30 Jahren nicht gesehen," so Helmenstein. Im Kostenmix der Unternehmen werde es zu Verschiebungen kommen. Hatte Energie vor der Krise einen Anteil von neun Prozent, dürfte sich der nun auf 15 bis 20 Prozent erhöhen, prognostiziert Helmenstein. Er sieht darin einen "Makel" für die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Der größte Kostenbrocken ist allerdings der Materialeinsatz mit 47 Prozent. Bei den Rohstoffpreisen sieht der IV-Chefökonom den Höhepunkt der exorbitanten Entwicklungen des Vorjahres aber schon überschritten.
Keinesfalls will man in der IV die Energiepreissteigerungen als logische Folge der Energiewende sehen. Vielmehr litte man jetzt unter jahrelangen Verzögerungen bei Erneuerbaren-Projekten, wo es die Politik nicht geschafft habe, diese durchzusetzen. Deshalb sei eine Novelle bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen nach dem Vorbild Deutschland unerlässlich, so Neumayer.
Konjunkturmotor läuft trotz der "extremen Störfaktoren"
Trotz der "extremen Störfaktoren", so Helmenstein, ist die Konjunktur in diesem Wirtschaftssektor ausgesprochen stark. Kaum ein Unternehmen plant Mitarbeiterabbau: Den Umfragen zufolge ist das nur bei jedem 30. Betrieb ein Thema. Helmenstein rechnet für 2022 mit einer kräftigen Steigerung der Industrieproduktion, und zwar real um 3,5 bis vier Prozent, also inflationsbereinigt. Die Industrie bleibt damit die wichtigste Konjunkturstütze in Pandemiezeiten, rund zwei Drittel der Erholung 2021 gingen auf ihr Konto. Sollte es an der Corona-Front Entspannung geben und der Tourismus wieder aufblühen, läge hier großes Potenzial für einen starken Aufschwung, wie er auch ursprünglich für heuer prognostiziert wurde.
Was Verschärfung des Ukraine-Konflikts bedeuten würde
Die Möglichkeit eines exogenen Schocks wie eine weitere Verschärfung des Ukraine-Konflikts ist in den Berechnungen natürlich nicht enthalten. "Wir halten es grundsätzlich für falsch, immer vorschnell über wirtschaftliche Sanktionen zu sprechen," fordert Helmenstein. Er sagt: "Diplomatische Krisen müssen auf politischer Seite adressiert und gelöst werden. Je schneller und härter wir in wirtschaftliche Sanktionen einsteigen, desto stärker und schneller erodiert die Vertrauensbasis, desto weniger Kommunikationskanäle haben wir." Befragt nach einem "worst case"-Szenario für die Wirtschaft erklärt er: "Russland steht für 2,1 Milliarden Euro Exportvolumen, die Ukraine für 500 Millionen Euro." (Daten 2020), Russland ist nicht unter den Top 10 Exportmärkten." Von Totalausfall ist aber keine Rede. Viel härter träfen Europa und Österreich zugedrehte Öl- und Gashähne. Für die Raiffeisenbank International wäre das Ausschließen Russlands aus dem internationalen Finanzkommunikations-System Swift ein schwerer Schlag.
Russland habe sich trotz seiner gut ausgebildeten Menschen bedauerlicherweise fast ausschließlich auf den Export von Energie beschränkt, betont Helmenstein. "Russland wäre die drittgrößte Volkswirtschaft weltweit, nähme man ein Pro-Kopf-Einkommen wie in Italien an," so Helmenstein. Tatsächlich seien sie aber auf Rang elf. Die endgültige Genehmigung der Pipeline Nordstream 2 sei natürlich der "better case". "Aber es ist erst dann wieder alles gut, wenn die Lieferungen über die Ukraine wieder gut funktionieren."
Claudia Haase