Mit „riesiger Unsicherheit“ blickten Investoren dem Börsenjahr 2021 entgegen – „doch das Stimmungsbild hat sich schnell gedreht“, betont der Finanzmarktexperte Josef Obergantschnig. Nach einem Jahr der Extreme, das Anleger 2020 stark gefordert hat, legten die Aktienmärkte in diesem Jahr eine bemerkenswerte Entwicklung hin. Der Wiener Leitindex zählt mit einem Jahresplus von 39 Prozent auch im internationalen Vergleich zu den „Top-Performern“. Börsenchef Christoph Boschan betont: „Der österreichische Aktienmarkt hat die Verluste aus dem Vorjahr überkompensiert. Anlegerinnen und Anleger sollten den Blick weg von den jährlichen Schwankungen hin zu langfristigen Renditen von rund sechs bis acht Prozent jährlich richten.“ Auch die Aktienumsätze an der Wiener Börse, die heuer ihr 250. Gründungsjubiläum feierte, haben mit rund 73,3 Milliarden Euro ein neues Zehnjahreshoch erreicht. Befeuert wurden die Kurse vom globalen Konjunkturaufschwung, der wiederum von teils massiven staatlichen Corona-Hilfsmaßnahmen und den sperrangelweit offenen Geldschleusen der Notenbanken.
Börsenkolumne
All das bedeutet freilich nicht, dass das Börsenjahr frei von Turbulenzen gewesen wäre. Die Pandemie scheint zwar weitgehend verdaut, teilweise wohl aber auch nur ausgeblendet zu sein, dennoch sorgten Entwicklungen rund um die Coronakrise immer für kleinere Kursbeben. Zuletzt etwa, als erste Meldungen über die neue Omikron-Variante und die verminderte Wirksamkeit der Impfstoffe bekannt wurden. „Das Coronathema ist immer wieder aufgepoppt, hat aber zu keinen nachhaltigen Einbrüchen geführt, das zeigt auch, wie hart gesotten die Investoren in diesem Zusammenhang mittlerweile sind“, sagt Obergantschnig.
Daten und Fakten zum Börsenjahr 2021
Daneben beschäftigen auch die Finanzmärkte insbesondere das Inflationsgeschehen und die anstehenden Reaktionen der Notenbanken – in den USA steht ein Richtungswechsel an. „Diese Entwicklungen bewegen uns alle, dieses Thema wird auch 2022 ein ständiger Begleiter bleiben.“ Die Kombination aus hohen Inflationsraten und der gewaltigen globalen Verschuldung von Staaten, Unternehmen und zunehmend auch Privathaushalten bleibt eine immense Herausforderung. Von der US-Notenbank Fed werden als Reaktion auf die gewaltige Inflationsrate von 6,8 Prozent im kommenden Jahr drei Leitzinserhöhungen erwartet, die EZB dürfte – trotz der rekordhohen Teuerungsrate von zuletzt 4,9 Prozent – noch stillhalten, was durchaus auch kritische Stimmen laut werden lässt.
Es ist also weiterhin extrem viel Liquidität im Gesamtmarkt. Obergantschnig bezeichnet Prognosen, wonach sich die Inflation rasch wieder nach unten bewegen wird, als „Mythos“. Die Inflationsangst und der damit einhergehende Realwertverlust seien omnipräsent.
„Ohne Risiko ist ein Geldwerterhalt nicht möglich"
Diese Kulisse führt aber eben auch dazu, dass die „verzweifelte Suche der Investoren“ nach Anlagen, die zumindest einen Realwerterhalt ermöglichen, weiter anhält, so Obergantschnig, „daher spricht auch weiterhin viel für Aktien, auch wenn wir es gemessen an den Fundamentaldaten vielfach mit keinem billigen Markt mehr zu tun haben“. Das zeige sich insbesondere bei US-Technologieaktien.
Der schon seit Jahren gültige Befund – die Leitzinsen in der Euro-Zone liegen bereits seit März 2016 bei null Prozent – verfestige sich jedenfalls weiter: „Ohne Risiko ist ein Geldwerterhalt nicht möglich – und hier gibt es zu Aktien kaum Alternativen“, so Obergantschnig.
Das spiegelt sich auch in Wien wider. Das Jahrestief lag gleich zu Beginn 2021 bei rund 2775 Punkten, das Hoch erreichte der ATX dann im November bei 3961 Punkten. Acht Titel im ATX schafften ein Jahresplus jenseits von 40 Prozent (AT&S, Erste Group, RBI und OMV sogar mehr als 50 Prozent).
Die Wiener Börse will auch 2022 einen Fokus auf die Finanzbildung legen, u. a. werden Unterrichtsmaterialien für Schulen weiterentwickelt, die Börsen-Akademie für Privatanleger bietet 30 Seminarthemen und die Webinar-Reihe „Börse4you“ bietet kostenfreie Weiterbildungsmöglichkeiten. „Bildung ist der beste Anlegerschutz und zahlt sich aus“, betont Boschan.