Wie gefällt Ihnen die neue deutsche Farbkombination in der Politik, ganz ohne schwarz?
Sie ist spannend. Ich sehe in Scholz den gemäßigten Hanseaten, der vielleicht sogar auf den Spuren von Helmut Schmidt wandelt. Ich sehe die idealistischen Grünen und die realistischen Gelben. Für mich ist die Konstellation wichtiger als die Parteifarbe.
Deutschland hatte 16 Jahre eine Kanzlerin, Österreich in dieser Zeit zehn Kanzler und eine Kanzlerin. In allen Regierungen war die ÖVP vertreten. Was ist da aus Ihrer Sicht schief gelaufen?
Können wir nicht sagen, was in Österreich gut läuft? Wir stehen bei den wohlhabendsten Ländern in der EU an der dritten Stelle, so viel kann also nicht falsch gelaufen sein. Dass die Zahl der Kanzlerwechsel ein Kriterium für Erfolg oder Misserfolg eines Landes wäre, kann ich nicht nachvollziehen.
Sie haben sich vor ein paar Monaten noch sehr kritisch über hoch gesteckte Klimaziele geäußert. Wifo-Chef Gabriel Felbermayer sieht im Programm der deutschen Ampelregierung die Top-Priorität beim Klimaschutz, was massive Investitionen nach sich ziehe.
Mir als Unternehmer fehlt die Strategie, für die man alle an einen Tisch bringt, um gemeinsam die konkreten Schritte zu entwickeln, wie bei einer Leiter, da kann man auch nicht drei Sprossen weglassen, um oben anzukommen. Wenn man erst bis 2050 CO2-neutral sein will, dann sagt, wir wollen schon 2030 auf einmal statt 40 Prozent 55 Prozent schaffen, muss man auch wissen, wie das gehen soll. Wie soll Polen die Energiewende schaffen? Die Franzosen ducken sich weg mit ihrem Atomstrom, den dann die Deutschen importieren, weil sie aus der Atomkraft ausgestiegen sind? Nur ein Gesamtplan hat die Chance auf eine Realisierung. Im Moment ist das Herumtasten im Nebel ohne Orientierung.
Wem fehlt die Orientierung? Haben Sie nicht den Eindruck, dass die Wirtschaft weiß, wo sie hin sollte und damit weiter ist als die Politik? Ein höherer CO2-Preis würde bei vielen Investitionen nützen.
Alles redet vom CO2. Der EU-Anteil der weltweiten Emissionen liegt bei acht Prozent, der von China bei 28 und jener der USA bei 18 Prozent. Ich will das Thema überhaupt nicht kleinreden. Es gibt nur viel mehr als dieses Problem. Wenn heute im Green Deal etwas von Circular Economy steht, Wirtschaften im Kreislaufmodell, dann kommt das von Eurochambre.
Brauchen wir nicht eindeutige Ansagen wie den Green Deal?
Ich habe als Europäischer Wirtschaftspräsident dazu ganz offiziell gesagt, das ist „wishful thinking“. Das heißt nicht, dass es Unsinn ist, im Gegenteil, der Plan ist weise, aber Wunschdenken.
Hat die ÖVP eine Langfriststrategie in Bezug auf den Klimaschutz?
Aber ja, eine pragmatische, keine ideologisch fixierte. Ich bin nicht dafür, Unternehmen zu belasten, ich bin sehr für freiwillige Selbstverpflichtungen, Beispiel Einwegflaschenpfand.
Die großen deutschen Handelsketten waren hier mitentscheidend. Hatte sich die Wirtschaftskammer da in ein Eck manövriert?
Das widerspreche ich Ihnen energisch. Ich kann nicht für die Wirtschaftskammer reden, die war immer verantwortungsbewusst und vernünftig. Die Wirtschaft ist bereit ihren Teil zu leisten, aber sie braucht dazu die Konsumenten. Die Betriebe machen das, was die Konsumenten wollen.
Müssten Sie einen Klimaschutz-Pakt schnüren, was hätte Priorität?
2050 die Circular Economy zu haben. Ich würde sagen, liebe Wissenschaftler, sagt uns, welche Schritte Jahr für Jahr dafür notwendig sind.
Und wenn die Wissenschaft sagt, 2050 ist zu spät, wir müssen die Ziele 2040 schaffen?
Dann muss es dafür ein Agreement geben mit Maßnahmen wie staatlichen Investitionen, Incentives. Die Guten gehören belohnt.
Zur Rolle der Konsumenten: Ist es nicht eher so, dass Autofahrer lieber weiter 180 fahren wollen wie in Deutschland statt 130 wie die Österreicher?
Ein Tempolimit ist eine Regulierung. Das kann man machen oder nicht, da braucht man nicht die Wirtschaft dazu, auch nicht die Wissenschaft oder Konsumenten.
Die Wissenschaft dient mit Fakten. Immun gegen Fakten zu sein, erleben wir gerade bis hin zu einer Abspaltung von Teilen der Gesellschaft.
Das macht mir große Sorgen. Es gibt ungeheure Bruchlinien, verstärkt durch Aggressivität über soziale Medien. Außer den inneren Spannungen haben auch die äußeren Spannungen durch den Egoismus von Politkern wie Trump, Erdogan, Xi Jinping, Putin oder Bolsonaro massiv zugenommen. Mit der Haltung, der Stärkste und Größte sein zu wollen, geht die Solidarität verloren und damit die Stabilität. Die Solidarität ist ja kein Almosen, das waren Verbindungslinien, Arbeitsteilungen, die zwischen China, Europa und Amerika funktioniert haben. Jetzt schneidet Amerika Linien durch, die Chinesen gehen wieder zurück Richtung Autarkie, wir Europäer sind innerlich so uneinig und wenig handlungsfähig, dass wir nicht imstande sind, unsere Position zu bestimmen.
Sie gelten als Verfechter einer anderen Politik gegenüber Russland. Im Ukraine-Konflikt drohen die USA jetzt mit „harten Maßnahmen“, vermutlich auch weiter verschärften Wirtschaftssanktionen.
Wenn jede Seite nur ihre Standpunkte wiederholt und definiert, wo ihre roten Linien sind, kommen wir nicht weiter. Wo gibt es kreative Vorschläge, die zu einer Lösung führen? Wenn ich mit einem Geschäftspartner ein Problem habe, dann denke ich mir, was will er, was will ich, wo gibt es Schnittmengen und wo gibt es Lösungen. Russland will – das hat Putin klar gesagt – Sicherheit. Die Ukraine will Integrität. Europa will Kooperation, weil wir uns blendend ergänzen würden. Warum funktioniert es nicht? Weil wir nicht die notwendige Fantasie haben, um über Lösungen zu reden. Und wir müssen bitte im Hinterkopf haben: Eine Bedingung der deutschen Wiedervereinigung war, dass die Nato-Osterweiterung dann dort auch endet.
Zurück zu Österreich: Sind Sie für eine Impfpflicht oder wären Lösungen wie Selbstbehalte oder eine eigene Versicherung vorerst besser gewesen?
Ich bin für eine Impfpflicht, die ja noch lange kein Impfzwang ist. Es wird ja niemand bei den Armen gepackt und kriegt „tschack“ den Pieks. Aber Konsequenzen für das Nicht-Impfen muss jeder tragen. Eine Versicherung löst nichts, weil es um die Spitalsplätze geht, die Ungeimpfte anderen wegnehmen, was ich wirklich für die krasseste Form von Egoismus halte.
600 Euro Strafe alle drei Monate wären in Ordnung?
Zum Maß kann ich nichts sagen. Ich bin nicht der Obergscheite. Ich will nur andeuten, dass wir eine andere Kommunikation brauchen.
Was für eine?
Zu sagen, wer auf seinem Nein beharrt, muss die Konsequenzen aus diesem Nein tragen. Dann müssten Geimpfte, die dringende Operationen benötigen, Priorität bekommen.
Glauben Sie, Österreichs Regierung hält in der neuen Konstellation?
Wenn alle Seiten betonen, sie hält, warum soll gerade ich daran zweifeln.
In Österreich Wirtschaft könnte wie in vielen europäischen Ländern eklatanter Facharbeitermangel bald das Wachstum bremsen. Muss sich die Wirtschaftskammer bei der Ursachensuche selbstkritisch in den Spiegel schauen?
Ursache für die Misere ist die Demografie. Die Baby-Boomer gehen in Rente, oft in Frührente. Für die Wirtschaftskammer kann ich wie gesagt nicht sprechen. Die Wirtschaft generell weist schon lange darauf hin, wie wichtig es ist, einen Berufsausbildungsteil viel stärker in die Gesamtbildungslandschaft zu integrieren.
Ökonomen fordern seit Jahren Reformen im Pensionsbereich.
Es rührt auch niemand ein Ohrwaschel, wenn ich vorschlage, mehr auf die Älteren zu setzen. Aber auch hier bin ich der Idealist, dass Freiwilligkeit ein Schlüssel ist. Warum soll ich jemanden zwingen bis 67 zu arbeiten? Wenn beispielsweise ein Facharbeiter für jedes Jahr, das er länger arbeitet als er müsste, vielleicht 10.000 Euro Prämie bekäme, die nicht größtenteils von der Steuer aufgefressen wird, dann wäre das ein guter Anreiz. Warum wird eine Sekretärin mit 60 heimgeschickt, obwohl ihr Mann vielleicht noch zwei Jahre bis zur Pension arbeiten muss? Oder der Mann ist 65 und sie 58. Da sagen wir, wir sind eine individualistische Gesellschaft und zwängen aber jeden in ein System hinein.
Brauchen wir eine kontrollierte Einwanderungspolitik?
Wir brauchen eine kontrollierte Einwanderungspolitik insofern, dass wir auch jenen helfen, die uns helfen. Die lassen wir zu stark außen vor, die gehen dann in andere Länder, weil sie sich bei uns nicht willkommen fühlen, weil wir eine Ausländerphobie haben.
Hat man viele Jahre zu sehr darauf beharrt, Gesamtschulmodelle rundheraus abzulehnen?
Ich war von vornherein ein Befürworter der gemeinsamen Schule, die aber nach innen differenziert werden sollte, nach Begabungsschwerpunkten. Das sagen alle Bildungspädagogen, aber es wird nicht gemacht. Ich halte die Kombination zwischen schulischer und beruflicher Ausbildung für sehr wichtig, Lehre mit Matura, Matura plus Lehre in Kombination, sodass ein junger Mensch mit 19 Jahren die Möglichkeit hätte, eine schulische und berufliche Ausbildung abgeschlossen zu haben. Das Hauptproblem ist aber, dass der Grundfehler – das gilt übrigens für ganz Europa – nicht korrigiert wird. Wenn es uns nicht gelingt, auf die Talente-Orientierung zu setzen statt auf die Lehrstoff-Beherrschung, dann holt uns der Teufel.
Auf „Karriere mit Lehre“ zu setzen, war das vielleicht zu wenig?
Das ist ja längst erweitert worden durch die duale Akademie ausgehend von Oberösterreich. Was ich noch in meiner Zeit eingeführt habe, ist ein Talente- und Begabungstest für 13- bis 14jährige. Diese Berufs- und Bildungswegberatung findet ja in breiter Zusammenarbeit mit Pädagogen und den Wirtschaftskammern statt.
Tun die Unternehmen schon genug, um aus der Misere Facharbeitermangel herauszukommen?
Vor ein paar Tagen bei einer Eurochambre-Präsidiumssitzung habe ich jemandem gesagt, „Sie sind verantwortlich für Ihr Unternehmen. Holen Sie junge Leute, bilden Sie sie aus, geben Sie ihnen Perspektiven für ihr Berufs- und Privatleben, dann werden Sie genug Mitarbeiter finden." Man kann auch Ausbildungskooperationen eingehen. Außerdem gibt es das Erasmus-Plus-Programm, was ich mit dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker in einem Vier-Augen-Gespräch vereinbart habe. Jetzt kann man einen europäischen Jugendaustausch für Lehr-Auszubildende machen.
Claudia Haase