Wenn es um große, theatralisch vorgetragene Wortgirlanden geht, kann ihr kaum jemand das Wasser reichen: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist eine Tiefseetaucherin im selbst gefüllten Pathos-Pool. In den Tagen vor der UN-Klimakonferenz in Glasgow hat sie hinsichtlich der bevorstehenden historischen Herausforderungen betont: „Das ist unsere Chance, Geschichte zu schreiben. Mehr noch: Es ist unsere Pflicht, zu handeln“ oder aber auch, „wir müssen ein Vorbild sein in den ganz wichtigen Fragen dieser Zeit“. Kaum jemand wird widersprechen.
Dass nun ausgerechnet während der Klimakonferenz bekannt wurde, dass sie heuer im Sommer – auf einem Terminmarathon durch sieben EU-Länder – im Privatflugzeug u. a. auch die Strecke Wien-Bratislava im Jet zurückgelegt hat, passt da nicht ganz so gut ins umweltbewusste (Vor-)Bild. Es geht um eine Strecke von rund 50 Kilometern, 19 Minuten Flugzeit. Der Landeanflug beginnt gewissermaßen bereits auf der Startbahn.
Eine Distanz also, die nicht zwingend im Flugzeug zurückgelegt werden müsste, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Spott und Hohn sind die Folge, ein Image-Fiasko, für das freilich von der Leyen höchst selbst das Kerosin geliefert hat. Eine Petitesse? Ein Aufbauschen? Was ist mit all den Denkern und Lenkern, die derzeit mit ihren Privatmaschinen nach Glasgow jetten, um dann dort – mit besorgter Miene – über die Klimakrise zu debattieren? Heuchler?
Kommission denkt über Aus für Kurzstrecke nach
Wir haben in den vergangenen Tagen auch innerhalb der Redaktion viel über dieses Thema diskutiert. Ist es kleingeistig und oberflächlich, sich darüber zu echauffieren? Lenkt es nicht allzu sehr von den wirklich großen Themen dieses Gipfels ab? Ist es womöglich eine glatte Themenverfehlung? Nur ein neuer Dreh im Kreisel der Empörungsmaschinerie, ein weiterer Schwung der ohnehin zu locker sitzenden Moralkeule? Kann man so sehen. Muss man aber nicht.
Der Klimawandel steht für eine epochale Zäsur, ob uns das gefällt oder nicht. Dabei geht es um entsprechende, durchaus einschneidende Maßnahmen, aber eben auch um Entscheidungsträger, die diese glaubwürdig vertreten können. Und wollen. Und hier gilt nun einmal: Privatjet schlägt Pathos.
Nur zur Erinnerung: Noch im Mai dieses Jahres wurde seitens der EU-Kommission laut darüber nachgedacht, wie ein Aus für Kurzstreckenflüge unter 600 bis 800 Kilometern erreicht werden könnte. Die Bürger sollten sich auf eine Flugreise pro Jahr beschränken, dann „entsteht gar kein Problem - weder für das Klima noch für das eigene Portemonnaie“, ließ der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, damals wissen.
Die Zugreise des Neos-Abgeordneten
Die EU-Kommission hat von der Leyens Hupferl damit argumentiert, dass Corona und andere Zwänge „logistisch keine andere Möglichkeit“ zuließen. Na, dann. Wenn man schon an derlei „historischen Aufgaben“ scheitert …
Übrig bleibt bei vielen ein Gefühl des Zuschnitts: „Verzichten sollen die anderen.“ Das ist fatal. Und eben mehr als eine Petitesse. CO2-neutrales Dampfplaudern allein reicht nun einmal nicht.
Stichwort Flugverkehr. Der Österreichische Luftfahrtverband hat beim Luftfahrtsymposium in Wien in dieser Woche eine Umfrage präsentiert, die das Verhältnis der Österreicherinnen und Österreicher zum Fliegen ausgelotet hat. Ein Tenor: Wer vor der Corona-Krise gerne geflogen ist, will das danach auch wieder tun. Spannend: Laut der Umfrage können sich immerhin 61 Prozent der Befragten auch für Mindestpreise bei Flügen erwärmen.
Der Neos-Abgeordnete Yannick Shetty hat mit einer Reiserechnung vor wenigen Tagen für viel Aufsehen gesorgt: Er ist mit dem Zug nach Glasgow zum Gipfel gereist. Kostenpunkt: 508,58 Euro. Fahrzeit: 18 Stunden und 32 Minuten. Zurück ging es dann per Flugzeug. Kostenpunkt: 19 Euro bei zwei Stunden Flugzeit. Sein Fazit: Solange die Unterschiede „so absurd groß sind, wird sich das Mobilitätsverhalten nicht ändern“.