„Vor Corona sah es eigentlich gut aus, aber jetzt ...“, seufzt die 28-jährige Anna Lercher. In Kürze wird sie den Murauer Traditionsbetrieb, Hotel-Gasthof Lercher, übernehmen. Der Grund für den Seufzer ist nicht etwa ausbleibendes Geschäft. Sondern ein Mangel an Personal. Wie Familie Lercher geht es derzeit vielen Gastronominnen und Gastronomen im ganzen Land. 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt der Murauer Betrieb aktuell, mindestens zwei im Service, zwei in der Küche und einen Lehrling würde man zusätzlich brauchen. „Erstmals haben wir sogar einen Ruhetag einführen müssen. Es geht einfach nicht mehr“, erklärt Anna Lercher. „Unser Beruf lebt davon, dass wir Freude vermitteln, dass wir Zeit für den Gast haben.“ Egal, wo man bislang inseriert hat, die Stellen blieben unbesetzt.
An mangelnder Flexibilität bei den Arbeitszeiten liege es nicht, "manche arbeiten Montag bis Freitag, andere vier Tage mit jeweils zehn Stunden, andere nur jedes zweite Wochenende. Wir sind wirklich flexibel“, betont Lercher. Die neueste Idee der Familie: Sie spricht gezielt Senioren an, „Leute, denen in der Pension vielleicht der Kontakt mit Menschen fehlt, die gerne ein bisschen arbeiten wollen.“ Ein oder zwei Tage die Woche: „Wir wären über jede Hilfe froh.“
Zehntausende Mitarbeiter fehlen in Österreich
Laut Branchenerhebungen fehlen in Österreichs Gastronomie- und Hotelleriebetrieben 20.000 Beschäftigte, laut Hochrechnungen der Unternehmensberatung „mrp Hotels“ sind es alles in allem sogar 50.000 bis 55.000.
„Derzeit sehen sich immer mehr Unternehmen dazu gezwungen, ihr Angebot zu reduzieren, da nicht ausreichend Mitarbeiter zu Verfügung stehen. Es ist extrem bedauerlich, dass hier wertvolles wirtschaftliches Potenzial auf der Strecke bleibt“, sagt Mario Pulker, Fachverbandsobmann der Gastronomie in der Wirtschaftskammer Österreich. Es fehlen sowohl Fach- als auch Hilfskräfte. Besonders akut ist der Mangel an Köchinnen und Köchen. Es sei daher entscheidend, dass man auch auf Personen aus Drittstaaten, also außerhalb der EU, zurückgreifen könne, so der Appell.
Gerade wurde eine Gesetzesnovelle für ein zusätzliches Stammsaisonierkontingent für den Tourismus in Begutachtung geschickt. Saisonarbeitskräfte aus Drittstaaten sollen so künftig Beschäftigungsbewilligungen außerhalb von Kontingenten und ohne Arbeitsmarktprüfung für die Saison erhalten, sofern sie unter bestimmten Bedingungen schon mehrere Jahre zuvor beschäftigt waren. Das „normale“ Kontingent an Drittstaatenangehörigen, im steirischen Tourismus sind es zurzeit 140 Plätze, ist bereits nahezu ausgeschöpft – „70 Prozent davon verbraucht der Bezirk Liezen als Saisonregion“, heißt es dazu von Karl-Heinz Snobe, Chef des steirischen Arbeitsmarktservice (AMS).
Lotterie mit der Chance auf zusätzliche Monatsgehälter
Die Palette an Maßnahmen, auf die einzelne Gastronomiebetriebe im Kampf gegen den Arbeitskräftemangel zurückgreifen, ist bemerkenswert. Zum Leidwesen der Gäste sind das zum einen reduzierte Öffnungs- und/oder Küchenzeiten oder zusätzliche Ruhetage. Für Beschäftigte führen einzelne Betriebe Vier-Tagewochen ein. Die Tourismusbetriebe in Obertauern haben für die Wintersaison gar eine Lotterie gestartet. 3000 Mitarbeiter sind benötigt, unter ihnen werden u. a. zusätzliche Monatsgehälter verlost – so will man mehr Personal anlocken.
In der Steiermark nimmt Gastro-Obmann Klaus Friedl „sehr viel Kreativität in den Betrieben wahr, die Aufmerksamkeit liegt ganz stark auf dem Thema Personalrekrutierung“. Zum Teil werde in der direkten Umgebung, auch im Familienkreis oder mittels Flugblättern in der eigenen Ortschaft nach Menschen gesucht, die zumindest zwischenzeitlich aushelfen können, so Friedl. Beim AMS Steiermark waren Ende Oktober im Bereich Beherbergung und Gastronomie 3357 Arbeitslose gemeldet. Ein Minus von 37,3 Prozent im Vorjahresvergleich und um tausend Menschen weniger als im Vorkrisen-Oktober 2019.
Ein Plus von 188,6 Prozent bei offenen Stellen
Die Zahl der offenen Stellen stieg im Jahresvergleich indes um 188,6 Prozent auf 1703. Das sei aber nur die halbe Wahrheit, so Friedl, viele Betriebe würden offene Stellen nicht ans AMS melden. Sein Appell: „Es ist wichtig, dass sie auch beim AMS angegeben werden, das hat Einfluss auf die Mangelberufslisten, wo beispielsweise der Beruf Köchin und Koch dringend erfasst werden sollte.“ Mangel herrsche längst nicht nur bei Fachkräften, sondern auch bei Hilfs- und Aushilfspersonal. Dass Küchenzeiten und Speisekarten reduziert werden und viele Gaststätten vor allem an Sonntagen zusätzliche Ruhetage einführen, weil es personell nicht mehr anders geht, sei auch ein Faktum, so Friedl. Der Personalmangel lasse sich nicht auf einzelne Regionen der Steiermark festmachen, das „schlägt überall durch“.
Zumindest heuer könnte die Personalsituation just ein bekannter Störenfried entschärfen. „Die Pandemie kann im Wintertourismus durchaus zum Problem werden“, sagt AMS-Chef Snobe. Nicht zuletzt, weil die 3-G-Regeln am Arbeitsplatz greifen. Nicht akzeptiert wird dabei etwa der in Ungarn populäre Impfstoff Sputnik V. Arbeitskräfte aus Ungarn sind wiederum für einige Gastrobetriebe im Land essenziell.
"Ein kreativer und schöner Beruf"
Der Mangel an Arbeitskräften in der Branche, so viel ist gewiss, wirkt sich jedenfalls auf vielen Ebenen aus, wie sich auch beim Hotel-Gasthof Lercher in Murau zeigt. „Es wird auch ein Umdenken der Gäste brauchen. Gasthäuser, die jeden Tag warme Küche haben, wo du ohne Reservierung mit acht Leuten Mittagessen gehen kannst, das wird es irgendwann nicht mehr geben.“ Das Wichtigste sei nun, das Image der Branche zu polieren. Anna Lercher: „Ob Küche oder Service, es ist ein kreativer und schöner Beruf.“