Sie haben sich gerade mit Arbeitslosen getroffen, was erzählen Ihnen Betroffene, was nehmen Sie da mit, auch für die Reform des Arbeitslosengelds?
MARTIN KOCHER: Was ich oft höre, sind die Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, wenn man besondere Einschränkungen hat. Das sind vor allem ältere und gesundheitlich eingeschränkte Menschen. Bei der Reform geht es um ein Gesamtpaket, da sind differenzierte Sichtweisen entscheidend. Das ist auch nicht der einzige Termin gewesen, es werden im Herbst noch weitere folgen.
Gibt es spezielle Kritik oder Anregungen, die Sie aus diesen Gesprächen für die Reform ableiten?
Oft geht es auch um Dinge, die nicht nur die Arbeit direkt betreffen. Ein Hinweis, den wir häufig erhalten, ist, wie wichtig flexible Kinderbetreuungszeiten und -einrichtungen sind. Die Gespräche helfen uns auch sehr gut in der Analyse einzelner Job-Förderungsprogramme.
Wie fällt die aus?
Bisher bekommen wir glücklicherweise auch positives Feedback, das sehen wir auch anhand der Zahlen. Bei der Corona-Joboffensive sind schon über 60.000 von insgesamt 100.000, die das bis Ende 2022 absolvieren, voll durch das Programm gegangen. Ungefähr die Hälfte davon hat innerhalb von drei Monaten einen neuen Job bekommen. Wir haben viele Förderprogramme, wie auch das Programm „Sprungbrett“ für Langzeitarbeitslose. Es ist extrem wichtig zu wissen, welche Erfahrungen Menschen damit machen.
Wir sehen im Arbeitsmarkt eine Zeit der Extreme. Noch im Vorjahr gab es Rekordarbeitslosigkeit, heute ertönt aus den meisten Branchen der Ruf nach mehr Personal. Wie tariert man das aus?
Die aktuelle Lage wird durch Ungleichgewichte verursacht, die sich aus Covid-19, damit verbundenen Maßnahmen sowie außergewöhnlichen Entwicklungen im Tourismus ergeben. Da kann man nur kurzfristig versuchen, das etwas abzumildern, etwa bei den Kontingenten von Saisonniers oder beispielsweise auch über europäische Jobmessen wie den European Job Day. Man muss aber ehrlich sein, es wird für die Tourismuswirtschaft und Gastronomie auch im Winter nicht ganz einfach werden, alle Stellen zu besetzen.
Was wirkt längerfristig?
Da geht es um die Demografie, also dass durch die Alterung der Gesellschaft das Arbeitskräftepotenzial insgesamt geringer wird. Wir dürfen da nicht der Illusion erliegen, dass uns diese Entwicklungen nicht ereilen werden. Daher muss man auf allen Ebenen etwas tun, bei der Ausbildung, der Kinderbetreuung, bei der Beschäftigungsquote von Älteren und auch bei der Frage, wie man als Arbeitsmarktstandort auch attraktiv für Menschen ist, die nicht aus Österreich kommen. Da zählt auch die Rot-Weiß-Rot-Karte dazu.
Man gewinnt den Eindruck, dass Sie für die Reform ein degressives Arbeitslosengeld präferieren und nur die Höhe noch nicht nennen wollen. Ist das eine Überinterpretation?
Ja, das wäre überinterpretiert. Wir haben immer gesagt, dass die degressive, die stufenweise Gestaltung des Arbeitslosengelds eine Option ist, die auf dem Tisch liegt. Es gibt Länder, wo das sehr gut funktioniert, aber auch Länder, wo das nicht so super läuft. Wir haben ja auch eine degressive Gestaltung mit dem Arbeitslosengeld und der Notstandshilfe, allerdings mit relativ schwacher Stufe.
Und die Zuverdienstgrenze für Arbeitslose soll reduziert werden?
Da bin ich noch sehr offen. Wir sehen, dass der Zuverdienst sehr positive Aspekte hat, man behält als Arbeitsloser den Fuß in der Tür, kann Fähigkeiten erhalten. Es gibt gleichzeitig aber auch Aspekte, die auch eine Wifo-Studie aufgezeigt hat, dass die Arbeitslosigkeit dadurch möglicherweise auch verlängert wird. Wir werden sehen, ob wir eine Lösung zustande bringen, die die positiven Aspekte erhält und den negativen Aspekt verhindert. Das ist nicht ganz einfach.
Die Notstandshilfe steht außer Streit?
Ja, die steht außer Streit. Es wird weiter Arbeitslosengeld in den ersten 20 bis 52 Wochen, je nach Bezugsdauer, geben und danach auch unbegrenzt die Notstandshilfe.
3 G am Arbeitsplatz kommt mit November. In anderen Ländern gab es da Proteste dagegen. Welche Folgen könnte das bei uns auf den Arbeitsmarkt haben?
Wir haben ja schon sehr viele Betriebe, die 3 G am Arbeitsplatz über Betriebsvereinbarungen eingeführt haben. Da hat es eigentlich überall gut funktioniert. Ich bin da sehr optimistisch. Ich halte das für einen wichtigen Beitrag, um gut durch den Winter zu kommen. Es macht Sinn, das auch stichprobenartig zu kontrollieren, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Interesse an einem sicheren Arbeitsplatz haben. Wir sitzen da alle in einem Boot, das ist die Botschaft.
Strenger und auch komplexer wird die Sache, wenn es zu einem Lockdown für Ungeimpfte kommen sollte, das wäre laut Regierung der Fall, wenn mehr als 600 Covid-19-Patienten auf der Intensivstation liegen. Hätte das nicht auch massive Folgen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?
Natürlich hoffen wir, dass wir die Entwicklung der Pandemie so im Griff haben, dass es nicht dazu kommt. Das wäre mit praktischen Problemen verbunden, wir wissen ja auch, dass viele Betriebe Schwierigkeiten haben, Arbeitskräfte zu finden. Wenn Leute nicht mehr arbeiten, weil sie sich nicht impfen lassen wollen, kommen wir in eine schwierige Lage. Es ist das Ziel, dass es keine so starken Einschränkungen wie 2020 mehr braucht. Es geht darum, den richtigen Mix in der Pandemiebekämpfung zu finden.
Gerade noch hing der Fortbestand der türkis-grünen Regierung nach dem Auffliegen der Chat-Affäre an einem seidenen Faden. Ist wieder alles gekittet?
Die beiden Regierungsparteien haben sich ganz klar festgelegt, man will sich wieder auf die Sacharbeit konzentrieren. Das finde ich sehr gut, das ist auch in meinem Interesse. In den letzten Wochen, seit es diese Ereignisse gegeben hat, wurde das Budget beschlossen, die Arbeit an der Steuerreform läuft weiter, es gibt die Sterbehilfe-Regelung, wir können beim Reformprozess zur Arbeitslosenversicherung weitermachen – das zeigt schon, dass alle gewillt sind, in der Sacharbeit weiterzumachen. Dass natürlich ein gewisser Vertrauensverlust da war, ist auch klar. Wir müssen dieses Vertrauen jetzt wieder aufbauen.
Sie sind noch relativ frisch in der Politik, sind das so Phasen, wo sich doch unglaublich tiefe innen- und parteipolitische Gräben auftun, in denen Sie wieder an einen Abschied von der Politik denken – oder können Sie das mittlerweile einfach so ausblenden?
Politik ist insgesamt ein recht kurzlebiges Geschäft mit Änderungen, die sich auch sehr rasch ergeben können. Das war mir immer bewusst. Ich mache das aus einer gewissen Verantwortung heraus weiter. Ich glaube, dass ich im Arbeitsressort etwas beitragen kann. Wenn irgendwann der Eindruck entsteht, ich kann da nichts mehr beitragen, dann wäre der Punkt erreicht, wo ich mir das überlegen müsste. Aber das war in den letzten Wochen in keiner Weise gegeben. Es hat immer auch die Perspektive gegeben, dass wir in der Koalition auch in Zukunft gut zusammenarbeiten können.