Der Rücktritt von Bundesbankchef Jens Weidmann hat eine Debatte über die künftige Ausrichtung der deutschen Zentralbank ausgelöst. Der als Finanzminister in spe gehandelte FDP-Chef Christian Lindner forderte am Mittwoch, die Bundesbank müsse weiter Anwältin einer stabilitätsorientierten Geldpolitik in Europa bleiben. Regierungssprecher Steffen Seibert stieß ins selbe Horn und betonte, es sei nun Aufgabe der nächsten Regierung, einen Nachfolger zu finden.
Grünen-Co-Chef Robert Habeck forderte zugleich eine Modernisierung der politisch unabhängigen Institution. Weidmann hatte überraschend nach zehn Jahren an deren Spitze seinen Rücktritt zum Jahresende angekündigt und dafür persönliche Gründe ins Feld geführt.
Dessen Abschied müsse auch als Chance für einen Neuanfang begriffen werden, betonte Habeck, den Parteifreunde ebenfalls für den Posten des Finanzministers in einer Ampel-Koalition ins Spiel brachten. Der 53-Jährige Weidmann verlässt lange vor dem Ende der regulär bis 2027 laufenden Amtszeit die Kommandobrücke der Bundesbank, die seit ihrer Gründung im Jahr 1957 geldpolitisch als Hort der Stabilität gilt.
Inflationsrisiken
Weidmann mahnte zugleich, auf Inflationsrisiken zu achten: Dieses Thema wird in der EZB angesichts derzeit rasant steigender Preise kontrovers diskutiert. Wer dem gebürtigen Solinger nachfolgen wird - auch im EZB-Rat - blieb zunächst offen. Als geeignete Nachfolger wurden in der Finanzwelt unter anderen Bundesbank-Vizechefin Claudia Buch, Ex-Bundesbankvorstand Joachim Nagel und DIW-Chef Marcel Fratzscher gehandelt. Auch der Name von Jakob von Weizsäcker, Chefökonom des Bundesfinanzministeriums, wurde in diesem Zusammenhang genannt.
Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz dankte Weidmann öffentlich für sein außerordentliches Engagement an der Spitze der Bundesbank. Auch Kanzlerin Angela Merkel bedauere den Rückzug Weidmanns, sagte Regierungssprecher Seibert.
Weidmanns Abgang wurde auch vom Chef der Internationalen Bank für Zahlungsausgleich (BIZ), Agustin Carstens, mit Bedauern aufgenommen. Weidmann saß dem Verwaltungsrat der sogenannten Zentralbank der Zentralbank mit Sitz in Basel seit 2015 vor. Laut Carstens wird bald ein Findungsprozess für einen Nachfolger starten.
Konfliktlinien im Streit um offene Geldschleusen
Weidmann war 2011 als Nachfolger von Axel Weber zum Präsidenten der Bundesbank ernannt worden, nachdem sein Vorgänger im Streit über die Krisenpolitik der EZB das Handtuch geworfen hatte. Auch der deutsche Chefökonom Jürgen Stark hatte sich Ende 2011 aus ähnlichen Motiven Knall auf Fall von der EZB zurückgezogen. Stark nannte Weidmanns Rückzug nun sehr verständlich und konsequent. "Niemand kann über mehr als ein Jahrzehnt eine Politik gegen die eigene Überzeugung mittragen", sagte er der "Börsen-Zeitung". Unter Weidmann hatte sich das Verhältnis zwischen der Bundesbank und der Europäischen Zentralbank in den letzten Jahren Beobachtern zufolge zwar entspannt, doch traten Konfliktlinien im Streit um die weit geöffneten Geldschleusen der EZB immer wieder zutage. Er befand sich dabei zermürbend oft in einer Minderheitenposition bei der Geldpolitik, die die Bundesbank traditionell auf eine eher straffe Linie ausgerichtet sehen möchte. So waren Weidmann und Belgiens Notenbank-Chef Pierre Wunsch im Juli die einzigen im EZB-Rat, die den neuen geldpolitischen Ausblick der Euro-Notenbank bis zuletzt abgelehnt hatten.
EZB-Chefin Christine Lagarde nannte Weidmann einen "guten persönlichen Freund", auf dessen Loyalität sie immer habe bauen können. Zugleich hob sie seine Rolle als Kompromiss-Stifter im EZB-Rat hervor. Weidmann war zwischenzeitlich auch als Nachfolger des früheren EZB-Chefs Mario Draghi gehandelt worden, doch kam der Ökonom nicht zum Zuge: Die Juristin und frühere IWF-Chefin Lagarde löste den Italiener im November 2019 an der Spitze der EZB ab. Weidmann verwies nun ausdrücklich darauf, dass es ihm immer wichtig gewesen sei, "dass die klare, stabilitätsorientierte Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt".
Zugleich mahnte er, auf Inflationsgefahren zu achten: Es gelte, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern "auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren". Die Preise im Euroraum sind im September mit 3,4 Prozent so stark gestiegen wie seit 13 Jahren nicht mehr. Die EZB strebt eine Rate von 2,0 Prozent an und geht zurzeit davon aus, dass der Teuerungsschub schon nächstes Jahr vorbei ist - was manche Experten jedoch bezweifeln.