Über Geld spricht man nicht. Über mehr Geld schon gar nicht. Zumindest lässt eine Umfrage aus Deutschland darauf schließen. Demnach existiert bei gut der Hälfte der Beschäftigten eine latente Scheu, mehr Gehalt zu fordern. Anders als offensiv agierende Arbeitnehmervertreter in Kollektivvertragsverhandlungen dominiert bei individuellen Gesprächen mit dem Arbeitgeber eine Defensivtaktik. Man möchte sich nicht selbst loben, tut sich schwer, den richtigen Zeitpunkt und Ton zu finden und lässt sich (zu) leicht abwimmeln.
Florian Märzendorfer, Geschäftsführer von fip-s.at, einem oberösterreichischen Start-up, das sich neben der Beratung für Vermögensaufbau und Altersvorsorge auch dem Thema Gehaltsverhandlungen in eigenen Online-Kursen widmet, ortet aber noch weitere Stolpersteine: zu schlechte Vorbereitung und unrealistische Vergleichswerte.
Der Ton macht auch hier die Musik
Zunächst ist es eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Corona habe diesbezüglich eine Grundangst erzeugt, die Märzendorfer aber nicht als Ausrede gelten lässt, nicht über mehr Geld zu reden (sofern es sich nicht um krisengeschüttelte Branchen wie der Gastronomie handelt). Fingerspitzengefühl ist auch in der direkten Aktion gefragt. Am Bürogang, zwischen zwei Besprechungen, beim zufälligen Treffen oder in der Betriebskantine: Es gibt viele Zeitpunkte, die unpassend und damit wenig erfolgversprechend sind, das Thema Gehaltserhöhung anzusprechen. Stattdessen auf offiziellem Weg und mit entsprechendem Vorlauf um einen Gesprächstermin anfragen. Denn niemand lässt sich gerne überrumpeln – ein Vorgesetzter mit einer bankräuberartig eindimensionalen Forderung nach mehr Geld schon gar nicht.
Und: Der Ton macht auch hier die Musik. Es klingt besser, von einer „Gehaltsanpassung“ zu sprechen. Drohungen und Erpressungen à la „Ansonsten verlasse ich das Unternehmen!“ sorgen dagegen für Disharmonie – und können nach hinten losgehen. Das gilt auch für nur vorgetäuschte Jobangebote von der Konkurrenz. Diese Taktik kann es für den Vorgesetzten einfach machen, einen von der Gehaltsliste zu streichen, statt nach oben zu schieben.
Es reicht auch nicht, darauf hinzuweisen, seit Jahren pünktlich im Büro zu erscheinen, alle Aufgaben zu erledigen und privat erhöhte Ausgaben zu haben. Für einen Gehaltssprung nach oben braucht es relevante Erfolge. Beispiele, wo man bereit war, die „Extrameile“ zu gehen, abgeschlossene Weiterbildungen, außerordentliche Leistungen, die den Unternehmenserfolg gesteigert haben, helfen. Schlecht dagegen kommt es, Kollegen als Maßstab ins Spiel bringen. Es geht nicht um einen Vergleich, sondern um die eigene Leistung. Deren Stellenwert gilt es, herauszustreichen.
Wie viel „Mehr“ ist realistisch?
Schließlich ist taktisches Geschick notwendig. Soll man einen Verhandlungsspielraum nennen (und dem Gegenüber die Möglichkeit geben, am unteren Limit zu beginnen) oder eine konkrete Zahl? Märzendorfer differenziert: „Wenn es um denselben Job geht, kann man eine konkrete Zahl nennen.“ Bei einem Jobwechsel würde er zu einer „Zwischen X und Y“-Variante raten – die sich aber in einem realistischen Rahmen bewegen muss und alternative Benefit-„Paketlösungen“ wie mehr Urlaubstage, Erfolgsprämien oder Fahrtkostenzuschüsse berücksichtigt.
Und wie viel „Mehr“ ist realistisch? „Pauschal ist das schwierig zu sagen“, bremst Märzendorfer. Als Orientierungshilfe bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen, nennt er aber ein bis drei Prozent als „nicht einmal der Rede wert, vier bis sechs Prozent ok, zehn bis zwölf Prozent mittel und über 15 Prozent nicht üblich, aber auch nicht unrealistisch“.
Klaus Höfler