Sechs Stunden dauerte die digitale Eiszeit in der Nacht von Montag auf Dienstag. Weil Neujustierungen an essenzieller Router-Technologie in die sprichwörtliche Hose gingen, wurde der Netzwerkverkehr zwischen Facebooks Rechenzentren gestört, zentrale Server des Unternehmens waren im Internet nicht mehr auffindbar. Das führte zum längsten und weitreichendsten Ausfall in der jüngeren Geschichte des Netzwerks. Neben der zentralen Plattform waren auch die zum Konzern gehörenden Dienste Instagram und WhatsApp stundenlang offline. Zu allem Überdruss wirkte der Kollaps auch nach innen: Facebooks interne Kommunikationsplattform stand still, selbst Türen von Bürogebäuden konnten Facebook-Angestellte eine Zeit lang nicht mehr öffnen. Der kuriose Höhepunkt: Einer der größten Digitalkonzerne der Welt musste einen realen Trupp in ein Rechenzentrum nach Santa Clara schicken, der – so die „New York Times“ – manuell den Reset-Knopf drückte. Erst so gelang die digitale Rückkehr.
Zu diesem Zeitpunkt war die Häme in der noch existierenden digitalen Welt – Twitter darf wohl den nutzerstärksten Tag des Jahres vermelden – bereits groß, die Finanzmärkte hatten ihr Urteil gesprochen. Der Aktienkurs des Unternehmens gab um mehr als fünf Prozent nach, Facebook-Gründer Mark Zuckerbergs Vermögen sank dadurch um sieben Milliarden US-Dollar, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg vorrechnete.
"Profit steht über dem Schutz von Minderjährigen"
Dabei wirkte der breitflächige Ausfall in Wahrheit nur als Verstärker. Für öffentlichen Unmut und Druck auf den Konzern sorgte da bereits längst eine andere besonders heikle Causa. Denn eine Insiderin gewährte dem „Wall Street Journal“ (WSJ) Einblick in die Praktiken des Konzerns. Und diese zeichnen ein düsteres Bild, in dem Profit und Wachstum über dem Schutz von Minderjährigen stehen. Die 37-jährige Frances Haugen war bei Facebook unter anderem dafür zuständig, Manipulationen von Wahlen zu vereiteln. Ihre Befunde, die sie gestern auch öffentlichkeitswirksam vor dem US-Kongress ausbreitete, haben es in sich: „Ich glaube, dass die Produkte von Facebook Kindern schaden, Spaltung anheizen und unsere Demokratie schwächen.“ Facebook hätte weiter auf Wachstum gesetzt, obwohl dem Unternehmen negative Auswirkungen der Plattform auf die Nutzer bekannt gewesen seien – mit verheerenden Folgen für Demokratie und Gesellschaft. Facebook weist die Vorwürfe entschieden zurück. Haugen fordert „volle Transparenz“. So habe eine Studie von Facebook gezeigt, dass Instagram bei zahlreichen Teenagern – vor allem Mädchen – die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper verstärke.
Haugen im US-Kongress: Protokoll einer Insiderin
Diese Informationen hätten für den Konzern echte Sprengkraft, sagt Digitalexpertin Ingrid Brodnig. Vor allem weil Facebook diese Daten hatte und trotz Nachfragen nicht bekannt machte. „Rund jedes dritte Mädchen gab an, dass Instagram Probleme mit dem Körperbild vergrößert“, sagt Brodnig. Für Facebook dürfte eine Information besonders kritisch sein. Konkret würden die internen Unterlagen laut den Berichten des „Wall Street Journal“ zeigen, dass sich Instagram schlecht darauf auswirke, wie sehr sich Jugendliche mit anderen vergleichen. Während TikTok und Snapchat einige humorvolle Facetten haben, gehe es bei Instagram stark um den Körper und Lifestyle. „Das macht diese Enthüllungen so gefährlich für Facebook“, erklärt Brodnig.
Was die Digitalexpertin etwas überrascht: „In Europa ist diese Diskussion noch nicht ganz angekommen.“ Dabei seien für die Berichte von Facebook auch Jugendliche aus der EU befragt worden. Europa sollte nun dringend handeln, sagt auch Jaro Krieger-Lamina vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. „Was bedeutet es für uns Europäer, wenn einige wenige US-Konzerne alle Nutzerdaten kontrollieren?“ Denn ideologisch gäbe es klare Unterschiede zwischen den USA und Europa. Und derzeit entscheide Facebook mit Tochter Instagram im Silicon Valley darüber, was für europäische Jugendliche gut ist oder nicht. Auch EU-Kommissarin Margrethe Vestager, die Techkonzerne wie Facebook regelmäßig wettbewerbsrechtlich ins Visier nimmt, fühlt sich bestätigt. Der Vorfall zeige, dass es Bedarf an mehr Wettbewerb gebe, ließ sie – via Twitter – wissen. Und auch in den USA wird der politische und kartellrechtliche Druck auf Facebook immer größer.
Mit Instagram wird in diesen Tagen nicht zuletzt just jenes Netzwerk für Facebook zur Belastung, das für Elan, Reisen und Essen, für die Leichtigkeit des Seins stehen soll. Jenes Netzwerk, das man als Heilsbringer und für eine Verjüngungskur der Nutzer teuer kaufte: Eine Milliarde Dollar zahlten Mark Zuckerberg & Co. 2012 für das damals zwei Jahre alte Start-up.