Viele Menschen spüren die Teuerung. Welche Ausmaße könnte die Geldentwertung noch annehmen?
GABRIELE SEMMELROCK-WERZER: Die EZB steuert Geldmenge und Zinslandschaft. Wir sehen bereits eine Überhitzung, mit dem neuen Inflationskorridor hat die EZB darauf reagiert. Die EZB könnte Geldmenge und Liquidität schnell zurücknehmen, tut das aber noch nicht, um die Zinsen künstlich niedrig zu halten.
Laut Lehrbuch müssten doch bei steigender Inflation auch die (Null-)Zinsen angehoben werden.
Die EZB könnte das sofort tun. Wenn man das machen würde, hätte das eine schnelle – eindämmende – Wirkung auf Wirtschaft und Preise. Vor einer extremen Inflation brauchen wir keine Angst zu haben – seit zwölf Jahren haben wir eine Niedrigzinsphase, und erst jetzt sieht man inflationäre Tendenzen. Tatsache ist, dass wir eine hohe Geldentwertung haben, weil sich die Volkswirtschaften auf Kosten privater Sparer entschulden. Die enormen Ausgaben der europäischen Staaten während der Pandemie wären auch nicht zu finanzieren, wenn die Zinsen steigen.
Die EZB müsste doch sich um Geldwertstabilität kümmern, nicht um die Staatshaushalte.
Geldwertstabilität kann man definieren – jetzt ist sie etwas höher gerutscht. Klar ist: Für Menschen, die Vermögen erhalten, aufbauen oder vorsorgen wollen, muss sich die Veranlagungsstrategie total ändern.
Sparbuchzinsen ermöglichten zumindest bescheidenen Vermögensaufbau – das ist vorbei?
Ja. Auch wenn die Inflation wieder runterkommt, wird das Geld am Sparbuch pro Jahr um ein bis eineinhalb Prozent weniger wert. Der Euribor soll auch noch 2026 bei null liegen.
Die Finanzwirtschaft kann mit dem Niedrigzins aber gut leben?
Ja, das ist erstaunlich. Vor wenigen Jahre dachte man, wenn das so kommt, gibt es eh keine Banken mehr.
Banken finanzieren sich auch aus der Zinsspanne zwischen Einlagen und Krediten. Funktioniert das Geschäftsmodell noch?
Wir haben eine extreme Sparquote in den letzten Jahren, die Einnahmenzuflüsse sind wesentlich höher als die Nachfrage. Wir versuchen das bestmöglich zu veranlagen. Die Zinsspanne sinkt kontinuierlich.
Trotzdem schreiben die Banken in Summe Milliardengewinne.
Wir versuchen zu optimieren, nur eine gut verdienende Bank ist eine sichere Bank. Durch das niedrigere Zinsniveau gibt es wesentlich weniger Kreditausfälle. Ich gehe auch nicht mehr von einer riesigen Insolvenzwelle aus. Die Frage ist, wie lange können wir auf Kosten der Allgemeinheit die wirtschaftliche Pandemie nicht spürbar machen. Das kann man nicht endlos fortsetzen. Irgendwann kommt der Zahltag.
Weniger als jeder Zehnte hat Aktien, fast alle ein Sparbuch. Wie wollen Sie das ändern?
Wichtig ist ein Lernprozess: Wenn ich aus dem Sparbuch rausgehe, muss ich nicht voll in Aktien einsteigen. Spekulieren ist nichts Negatives. Man muss für sich entscheiden, wie viel Schwankungen im Kurs ich verdauen kann. Klar ist: Auf eine sichere Veranlagung habe ich eine negative Rendite.
Wie viel Geld haben Sie am Sparbuch liegen?
Keines. Aber ich bin gerade dabei mich auf der Kreditseite zu veranlagen, weil ich mein Haus herrichten werde. Den Rest habe ich in Aktien.
Legt der Gesetzgeber den Banken ein zu enges Korsett an?
Das Level der Regulierung ist extrem hoch und nimmt den Banken Spielraum. Das finde ich schade. Wir sind alle zuverlässige, solide Unternehmensmanager, schwarze Schafe gibt es überall. Man sollte evaluieren, wo Regulierungen überschießend sind. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Die Politik zieht die Schrauben noch stärker an?
Man vergisst, dass die Regionen und die Menschen in Europa divers sind und es auch diverse Geschäftsmodelle geben sollte. Man will für ganz Europa eine einheitliche Regelung, wurscht, wie sie ausschauen. Das ist völlig falsch.
Die Liebe der Österreicher zum Bargeldland verursacht den Banken erhebliche Kosten.
Sie hören da von uns Banken wenig Gemotze. Bargeld ist unsere Grundkompetenz. In einer Krise wollen die Menschen haptisch Geld. Mit einer digitalen Karte kann ich bei einem Blackout nichts anfangen. Da ist es besser, ich habe ein paar Hunderter zuhause liegen. Bargeld wird viel an Bedeutung verlieren, aber es abzuschaffen brächte uns in Teufels Küche.
Kryptowährungen stehen Sie skeptisch gegenüber – warum?
Ein Vollprofi kann gerne in Bitcoin veranlagen, aber es ist kein Zahlungsmittel und sehr risikoreich. Und digitale Währungen brauchen enorme Rechnerkapazitäten.