Noch jubeln längst nicht alle Branchen über Umsätze wie vor der Krise, aber trotzdem brummt die Wirtschaft in Summe so stark, dass die Zuwachsraten heuer an der Vier-Prozent-Grenze kratzen oder sie sogar überschreiten. "Dass wir so schnell wieder auf das Vorkrisenniveau gekommen sind," so OeNB-Vizegouverneuer Gottfried Haber, "das ist für mich die größte Überraschung." Haber, einer der renommiertesten Ökonomen Österreichs: "Ich hätte gedacht, dass eine so schwerwiegende Krise doch für längere Störungen im Wirtschaftskreislauf sorgt."
Banken als "Breitbandantibiotikum"
Die Wirtschaft, hier insbesondere die Banken, seien auch gewappnet gegen allfällige Rückschläge. Der Finanzsektor sei ausgesprochen krisenresistent - ein Lernerfolg aus der Finanzkrise 2008/09 - die gut aufgestellten Banken seien das wirtschaftliche "Breitbandantibiotikum" in dieser Pandemie. Zu viel dürfe man sich davon im Rahmen der Pandemiebewältigung aber nicht erwarten. Sinngemäß erklärte er, dass der gesunde Finanzsektor kein Allheilmittel sei. Eine Gesundheitskrise könne nicht in einem anderen Teil des Systems gelöst werden. Einer der Frühindikatoren, die die OeNB bei den Banken permanent im Auge hat, weist zudem darauf hin, dass sich die Kreditqualität derzeit leicht verschlechtere, also die Risiken von Zahlungsausfällen etwas größer geworden seien.
Aussagen zur Zinspolitik, die mehr Einblick in die Entscheidungen der Europäischen Zentralbank in Frankfurt geben könnten, sind von den Spitzenvertretern der Nationalbank üblicherweise nicht zu erwarten. OeNB-Gouverneur Robert Holzmann hatte vergangene Woche deshalb für eine Überraschung gesorgt mit der Aussage, dass ein früheres Ende der lockeren Geldpolitik denkbar sei, als Experten das von der EZB erwarteten. Haber lehnt sich dazu allerdings nicht aus dem Fenster.
Wegen Klimaschutz keine extremen Inflationsraten
In Frankfurt ist aktuell die hohe Inflation im Fokus. Hier versucht Haber im Gespräch im Klub der Wirtschaftspublizisten zu beruhigen: "Angst vor großer Inflation wäre derzeit nicht gerechtfertigt." Teuerungsraten deutlich unter dem angepeilten Zwei-Prozent-Ziel dürften aber länger der Vergangenheit angehören. Haber erwartet mittelfristig leicht höhere Raten. Der Weg zur Klimaneutralität bringe auch gewisse Preiseffekte mit sich, wobei er keinesfalls sagen würde, dass Klimaschutz ein Inflationstreiber sei.
"Das Sparbuch hat eine wesentliche Berechtigung"
Trotz Nullzinsen bricht Haber übrigens eine Lanze für das traditionelle Sparbuch. "Das hat eine wesentliche Berechtigung," so Haber. Denn die - derzeit völlig fehlende - Rentabilität sei eben nur ein Aspekt des Sparbuchs, das daneben auch Sicherheit und sofort verfügbare Geldmittel biete. Generell zahle sich Sparen nicht weniger aus als früher, für viele Menschen sei es gar nicht so gut, in Aktien zu investieren.
Wichtig sei für alle, eine gute Informationsbasis für ihre Entscheidungen zu haben. Ende Juni hatten die privaten Haushalte in Österreich 172,6 Milliarden Euro auf der hohen Kante. Das bedeutet einen weiteren Aufbau. Zum Jahresende betrug das Vermögen 168,7 Milliarden Euro.
Claudia Haase